3.
Kurz bevor die Maschine zur Landung ansetzte, wachte Joanna auf. Ihr Nacken schmerzte, sie hatte einen schlechten Geschmack im Mund, und zu allem Überfluss waren ihr, während sie geschlafen hatte, auch noch sämtliche Texte von den Knien gerutscht. Beide Nachbarn hatten mit ihren riesigen Schuhen darauf herumgetrampelt. Fluchend bückte sie sich, um ihre Papiere wieder einzusammeln. Die Füße des Dicken zur Linken strömten einen intensiven Schweißgeruch aus. Sie hatte genug, sie wollte raus, nie wieder würde sie neun Stunden eingezwängt zwischen zwei dicken Männern verbringen.
Nick würdigte sie keines Blickes, als sie in den Bus stiegen, der sie zum Flughafengebäude bringen sollte.
»Du hast ja ordentlich eingekauft«, sagte Joanna und warf einen Blick in Nicks Duty-free-Tüten: zwei Stangen Zigaretten und eine Flasche Jack Daniel’s. »Genau das Richtige für deinen Magen. Gibt’s in Deutschland keinen Whiskey?«
Nick zog die Augenbrauen hoch, wie immer, wenn es ihm große Mühe bereitete, eine Frage zu beantworten. »Ich wohne bei einem Bekannten.«
Als ob das eine Antwort war. Aber es sah Nick ähnlich, dass er seinem Bekannten so etwas Phantasievolles wie Whiskey und Zigaretten mitbrachte.
»Ich wusste gar nicht, dass du in Hamburg jemanden kennst.«
»Wir haben uns vor vierzehn Jahren zuletzt gesehen.« Nick sah plötzlich so aus, als ob er bei der Wahl seiner Unterkunft möglicherweise einen Fehler gemacht hätte.
Joanna war es nur recht so. Immerhin blieb ihr auf diese Weise erspart, Nicks Gesicht auch noch jeden Morgen beim Frühstück ertragen zu müssen.
Beim Aussteigen aus dem Bus sah sie endlich Carol und Steve, ihre beiden anderen Kollegen aus derNew York University. Carol war Romanistin; sie stand kurz vor dem Pensionsalter und war eine der klügsten Frauen, die Joanna kannte. Steve war Germanist, Anfang Dreißig und ein Charmeur. Dass sie über zehn Jahre älter war als er, hielt ihn nicht davon ab, sie regelmäßig zum Essen in seine Wohnung einzuladen. Da er vorzüglich kochen konnte, sagte Joanna nie nein. Es hatte eine Weile gedauert, bis Steve begriffen hatte, dass sie an einer intimen Beziehung mit ihm nicht interessiert war. Dennoch lud er sie weiterhin zu Sushi oder Risotto con asparagi ein; das rechnete Joanna ihm hoch an. Nichts war für sie schlimmer, als selbst kochen zu müssen.
Sie fing an zu rennen. Kurz vor der Passkontrolle holte sie die beiden ein.
»Da bist du ja«, rief Carol. »Wir hatten schon gedacht, wir müssten ohne dich und deinen wunderbaren Vortrag auskommen.«
Wie gut, dass es Menschen wie Carol gab, die einem auch mal was gönnten.
»Hi«, sagte Steve und drückte ihr feuchte Küsse auf beide Wangen. »Wo hast du gesessen?«
Joanna deutete mit einer Handbewegung an, dass sie darüber lieber nicht sprechen wollte.
Jetzt schloss sich ihnen auch Nick an. Carol musterte ihn von oben bis unten und verkündete dann, dass es ihr gar nicht gefiel, wie blass er aussah. Carol war die Einzige, die Nick so etwas sagen durfte, ohne dass er gleich ausfallend wurde.
»Du weißt doch, mein Magen«, murmelte er und zündete sich eine Zigarette an.
»Dir ist nicht zu helfen!«, rief Carol und reichte dem Beamten ihren Pass.
Er war jung, höchstens fünfundzwanzig, und trug eine goldumrandete Brille, ohne die er wie sechzehn ausgesehen hätte.
»Are you on holiday in Germany?«, fragte er freundlich, während er in Carols Pass blätterte.
»Schön wär’s«, antwortete Carol und erklärte, dass sie und ihre drei Kollegen an einer wissenschaftlichen Tagung hier in Hamburg teilnähmen.
Der Bea