: Kathy Reichs
: Knochenarbeit Roman
: Blessing
: 9783641138257
: Die Tempe-Brennan-Romane
: 1
: CHF 8.90
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 448
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Wahrheit der Knochen
Grauenvolles erwartet die forensische Anthropologin Tempe Brennan, als sie in den kleinen Ort St. Jovice gerufen wird: ein niedergebranntes Haus mit sieben Leichen, zwei davon Babys, denen das Herz fehlt. Nur zu gern widmet sie sich deshalb ihrem anderen Auftrag - der Exhumierung der Ordensschwester Elisabeth Nicolet zwecks posthumer Heiligsprechung. Doch erst liegt die Nonne in einem falschen Grab, und dann entdeckt Tempe gemeinsam mit Detective Ryan eine entsetzliche Parallele zu dem Fall von St. Jovice.

Kathy Reichs, geboren in Chicago, lebt in Charlotte und Montreal. Sie ist Professorin für Soziologie und Anthropologie, eine von nur knapp hundert vom American Board of Forensic Anthropology zertifizierten forensischen Anthropolog*innen und war unter anderem für gerichtsmedizinische Institute in Quebec und North Carolina tätig. Ihre Romane erreichen regelmäßig Spitzenplätze auf internationalen und deutschen Bestsellerlisten und wurden in dreißig Sprachen übersetzt. Für den ersten Band ihrer Tempe-Brennan-Reihe wurde sie 1998 mit dem Arthur Ellis Award ausgezeichnet. Die darauf basierende Serie 'BONES - Die Knochenjägerin' wurde von Reichs mitkreiert und -produziert.

1


Wenn die Leichen an dieser Stelle waren, konnte ich sie nicht finden.

Draußen heulte der Wind. Im Inneren der alten Kirche waren nur das Scharren meiner Kelle und das Brummen eines tragbaren Generators mit Heizlüfter zu hören. Hochüber uns kratzten Zweige an vernagelten Fenstern wie knotige Finger auf Sperrholztafeln.

Die Gruppe stand hinter mir, dicht beieinander, aber ohne sich zu berühren, die Hände fest geballt in den Taschen. Ich hörte, wie sie von einem Fuß auf den anderen traten. Stiefel knirschten auf gefrorener Erde. Niemand sagte etwas. Die Kälte hatte uns zum Schweigen gebracht.

Langsam sickerte ein Erdhäufchen durch das grobe Netz meines Siebes. Der körnige Untergrund war eine angenehmeÜberraschung gewesen. Eigentlich hatte ich angesichts der gefrorenen Oberfläche mit Dauerfrostboden für die gesamte Tiefe der Ausgrabung gerechnet. Doch in den letzten beiden Wochen war es in Quebec für die Jahreszeit ungewöhnlich warm gewesen, der Schnee war geschmolzen und die Erde getaut. Wieder mal Glück gehabt, Tempe. Obwohl diese Vorahnung des Frühlings kürzlich von einem arktischen Wind davongeblasen worden war, hatte das milde Intermezzo die Erde weich gemacht und das Graben erleichtert. Gut. Letzte Nacht war das Thermometer wieder auf unter minus zehn Grad Celsius gefallen. Nicht gut. Die Erde war zwar nicht wieder gefroren, aber die Luft war eisig. Meine Finger waren so kalt, dass ich sie kaum bewegen konnte.

Es war bereits unser zweiter Graben, aber im Sieb fand sich noch immer nichts außer Kieseln und Steinsplittern. Bei dieser Tiefe hatte ich zwar noch nicht viel erwartet, aber man konnte nie wissen. Eine Exhumierung, bei der alles so lief wie geplant, hatte ich bis jetzt noch nicht erlebt.

Ich drehte mich zu einem Mann in schwarzem Parka und Zipfelmütze um. Er trug lederne, bis unter die Knie geschnürte Stiefel, aus denen zwei Paarüber die Schäfte gekrempelte Strümpfe herauslugten. Sein Gesicht hatte die Farbe von Tomatensuppe.

»Nur noch ein paar Zentimeter.« Ich machte eine beschwichtigende Bewegung mit der Hand, als würde ich eine Katze streicheln. Langsam. Ganz langsam arbeiten.

Der Mann nickte und stieß seinen langstieligen Spaten in den flachen Graben. Dabei grunzte er wie die Seles beim Aufschlag.

»Par pouces!«, schrie ich und packte die Schaufel. Zentimeter für Zentimeter! Ich wiederholte die flach schneidende Bewegung, die ich ihm schon den ganzen Vormittag gezeigt hatte.»Wir wollen das Erdreich in dünnen Schichten abtragen.« Ich sagte es noch einmal, in langsamem, bemühtem Französisch.

Der Mann war allem Anschein nach nicht meiner Meinung. Vielleicht war es die mühselige Eintönigkeit der Arbeit, vielleicht der Gedanke,Tote auszugraben. Jedenfalls wollte Tomatensuppe es hinter sich haben.

»Bitte, Guy, wollen Sie es nicht noch einmal probieren?«, fragte eine männliche Stimme hinter mir.

»Ja, Hochwürden.« Ein Murmeln.

Kopfschüttelnd nahm Guy die Arbeit wieder auf, doch diesmal trug er die Erde in flachen Schichten ab, wie ich es ihm gezeigt hatte, und warf sie gegen das Sieb. Immer auf der Suche nach Hinweisen, dass wir uns endlich einem Grab näherten, wanderte mein Blick vom Sieb zu der Grube.

Wir arbeiteten schon seit Stunden, und hinter mir konnte ich die Anspannung spüren. Ich drehte mich um und warf der Gruppe einen, wie ich hoffte, ermutigenden Blick zu. Meine Lippen waren so steif, dass ich nicht wusste, ob er mir gelang.

Sechs Gesichter starrten mich an, verkniffen vor Kälte und banger Erwartung. Eine kleine Dampfwolke stieg vor jedem hoch und löste sich auf. Sechs Münder lächelten in meine Richtung. Ich spürte, dass heftig gebetet wurde.

Neunzig Minuten später waren wir einen Meter fünfzig tief. Wie schon aus der ersten hatten wir auch aus dieser Grube nur Erde herausgeholt. Ich war mir sicher, dass ich Frostbeulen an jedem Zeh hatte, und Guy hätte wahrscheinlich am liebsten mit einem Schaufelbagger weitergemacht. Zeit für eine Neubesinnung.

»Hochwürden, ich glaube, wir müssen uns die Bestattungsunterlagen noch einmal ansehen.«

Er zögerte einen Augenblick. Dann:»Ja, natürlich. Natürlich. Und ich glaube, Kaffee und Sandwiches könnten wir jetzt alle gut gebrauchen.«

Der Priester ging auf die Flügeltür am anderen Ende der Kirche zu, und die Nonnen folgten ihm, mit gesenktem Kopf vorsichtigüber den unebenen Boden trippelnd. Ihre weißen Schleier breiteten sich in genau gleichen Fächern auf den Rücken ihrer schwarzen Wollmäntel aus. Pinguine. Wer hatte das gesagt? Die Blues Brothers.

Ich schaltete die Flutlichtstrahler aus und folgte ihnen. Den Blick ebenfalls gesenkt, staunte ichüber die Knochenfragmente, die hierüberall in dem Lehmboden eingebettet waren. Klasse. Wir hatten an der einzigen Stelle in der ganzen Kirche gegraben, an der es keine Gräber gab.

Father Ménard stieß einen Flügel auf, und wir traten im Gänsemarsch ans Tageslicht. Man brauchte einen Moment, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Der Himmel war bleigrau und lag schwer auf den Giebeln und Türmen des Klosters. Ein beißender Wind blies von den Laurentian Mountains herunter und fuhr in Kragen und Schleier.

Unsere kleine Gruppe stemmte sich gegen den Wind und marschierte zu einem Nachbargebäude, aus grauem Stein wie die Kirche, nur etwas kleiner. Wir stiegen die Stufen hoch zu einem reich m