: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
: Der Jüngling
: Null Papier Verlag
: 9783954183883
: 99 Welt-Klassiker
: 2
: CHF 0.90
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 1150
: kein Kopierschutz/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Arkadij Dolgorukij, ein zorniger junger Mann, unehelicher Sohn eines erfolglosen Gutsbesitzers, will nach oben. Wie schon in 'Der Idiot' macht Dostojewski auch in 'Der Jüngling' einen gesellschaftlichen Außenseiter zur Hauptperson. Arkadij steckt voller spinnerter 'Ideen', die er alle enthusiastisch versucht umzusetzen, nur um doch immer wieder zu scheitern. Seine Reise durch das verkommene, aus den Fugen geratene St. Petersburg führt zur Katastrophe. Null Papier Verlag

Fjodor Michailowitsch Dostojewski gilt als einer der bedeutendsten russischen Schriftsteller. Fjodor Dostojewskis Familie entstammte verarmtem Adel; der Vater war Arzt. 1839 soll sein Vater auf dem heimischen Landgut durch Leibeigene ermordet worden sein. Dostojewski begann 1844 mit den Arbeiten zu seinem 1846 veröffentlichten Erstlingswerk 'Arme Leute'. Mit dessen Erscheinen wurde er schlagartig berühmt; die zeitgenössische Kritik feierte ihn als Genie.

Zweites Kapitel


I


An diesem 19. September sollte ich auch mein erstes Gehalt für den ersten Monat meiner Petersburger Tätigkeit in meiner»privaten« Stellung erhalten. Wegen dieser Tätigkeit hatte man mich nicht vorher gefragt, sondern mich einfach hingetan, ich glaube, gleich am ersten Tag nach meiner Ankunft. Das war sehr rücksichtslos, und es wäre fast meine Pflicht gewesen, gegen eine solche Behandlung zu protestieren. Diese Stelle war im Hause des alten Fürsten Sokolskij. Aber gleich damals zu protestieren, das hätte den sofortigen Bruch mit ihnen bedeutet, und obgleich mich das durchaus nicht schreckte, so wäre es doch der Erreichung meiner eigentlichen Ziele hinderlich gewesen, und daher hatte ich die Stelle einstweilen stillschweigend angenommen, wobei ich durch dieses Stillschweigen meine Würde wahrte. Erklärend will ich hier gleich zu Anfang bemerken, daß dieser Fürst Sokolskij, ein reicher Mann und Geheimrat, in keiner Weise mit jenen Moskauer Fürsten Sokolskij verwandt war (einer schon seit Generationen gänzlich verarmten Familie), mit denen Wersilow prozessierte. Sie führten nur den gleichen Namen. Nichtsdestoweniger interessierte sich der alte Fürst sehr für sie und mochte besonders einen von diesen Fürsten, sozusagen das Oberhaupt der Familie, einen jungen Offizier, gut leiden. Wersilow hatte noch vor kurzem auf die geschäftlichen Angelegenheiten dieses alten Mannes einen großen Einfluß ausgeübt und war sein Freund gewesen, ein sonderbarer Freund, da der bedauernswerte Fürst, wie ich wahrnahm, eine gewaltige Angst vor ihm hatte, nicht nur zu der Zeit, als ich eintrat, sondern, wie es schien, immer, während der ganzen Dauer der Freundschaft.Übrigens hatten sie einander schon lange Zeit nicht mehr gesehen; die ehrlose Handlung, deren Wersilow beschuldigt wurde, betraf gerade die Familie des Fürsten; aber da war plötzlich Tatjana Pawlowna als Helferin erschienen, und durch ihre Vermittlung war ich bei dem alten Fürsten untergebracht worden, der einen»jungen Mann« als Hilfe in seinem Arbeitszimmer wünschte. Dabei hatte sich herausgestellt, daß er den lebhaften Wunsch hatte, Wersilow einen Gefallen zu erweisen, sozusagen den ersten Schritt zur Versöhnung zu tun; und Wersilow hatte eserlaubt. Der alte Fürst hatte diese Anordnung in Abwesenheit seiner Tochter, einer verwitweten Generälin, getroffen, die ihm diesen Schritt gewiß nicht erlaubt hätte. Aber hiervon später, jetzt bemerke ich nur, daß dieses merkwürdige Benehmen gegenüber Wersilow mir einen starken und für Wersilow günstigen Eindruck machte. Mein Gedanke war dieser: wenn das Oberhaupt der beleidigten Familie immer noch vor Wersilow Achtung hegt, dann muß doch das Geredeüber eine von Wersilow begangene Gemeinheit absurd oder wenigstens zweifelhaft und unsicher sein. Eben dieser Umstand hatte mich auch mit dazu veranlaßt, gegen dieÜbernahme dieser Stellung nicht zu protestieren; indem ich sie antrat, hoffte ich nämlich, dies alles zuüberprüfen.

Jene Tatjana Pawlowna spielte damals, als ich sie in Petersburg traf, eine eigentümliche Rolle. Ich hatte sie fast ganz vergessen und in keiner Weise erwartet, daß sie eine so bedeutsame Stellung innehätte. Sie war früher drei- oder viermal während meines Aufenthaltes in Moskau mit mir in Berührung gekommen und war Gott weiß woher in irgend jemandes Auftrag jedesmal erschienen, wenn ich irgendwo untergebracht werden mußte– bei meinem Eintritt in das schlechte Pensionat des Herrn Touchard, und dann zwei und ein halbes Jahr darauf bei meinemÜbergang auf das Gymnasium und meiner Unterbringung bei dem unvergeßlichen Nikolai Semjonowitsch. Nach ihrer Ankunft beschäftigte sie sich jedesmal den ganzen Tag mit mir, revidierte meine Wäsche und meine Kleider, fuhr mit mir nach dem Kusnezkij Most und in die Stadt, kaufte mir alles Notwendige und brachte, kurz gesagt, meine gesamte Ausrüstung bis auf das letzte Schreibkästchen und Federmesserchen in Ordnung; dabei ranzte sie mich die ganze Zeitüber an, schalt mich, machte mir Vorwürfe, examinierte mich und stellte mir andere Knaben aus ihrer Bekanntschaft und Verwandtschaft (für mich reine Phantasiegebilde), die alle angeblich viel besser waren als ich, als Muster hin; ja, sie kniff und puffte mich sogar gehörig, und das sogar mehrmals und so, daß es weh tat. Hatte sie mich ausgestattet und an meiner neuen Stelle untergebracht, so verschwand sie für einige Jahre spurlos. Und so war sie auch jetzt gleich nach meiner Ankunft erschienen, um mir wieder ein Unterkommen zu verschaffen. Sie war eine kleine, magere Person mit einem spitzen Vogelnäschen und scharfen Vogeläuglein. Gegenüber Wersilow war sie von einer sklavischen Dienstfertigkeit und verehrte ihn wie einen Papst, aber aus wirklicherÜberzeugung. Bald aber bemerkte ich mit Erstaunen, daß sie geradezuüberall und bei allen Menschen bekannt war und vor allemüberall und von allen Menschen hochgeschätzt wurde. Der alte Fürst Sokolskij benahm sich gegen sie ungewöhnlich respektvoll; ebenso seine Familie; ebenso diese stolzen Kinder Wersilows; ebenso die Fanariotows,– und dabei lebte Tatjana Pawlowna von Näharbeit und vom Waschen feiner Spitzen und