: Jeannette Walls
: Schloss aus Glas
: Hoffmann und Campe
: 9783455810516
: 1
: CHF 9.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 544
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
  »Schloss aus Glas' von Jeannette Walls ist ein bewegendes, absolut mitreißendes Buch über eine turbulente Kindheit und Jugend, wie man es nur selten gelesen hat. Hart und erschütternd, zart und lustig. Diese Geschichte kann niemand vergessen, der sie gelesen hat - nur, dass es keine Geschichte ist. Sollte ich jemals literarisch über mein eigenes Aufwachsen schreiben, dann hätte mir Jeannette Walls gezeigt, wie es geht.« Benedict Wells  Jeannette Walls ist ein glückliches Kind    Sie hat einen Vater, der mit ihr auf Dämonenjagd geht, ihr die Physik erklärt und die Sterne vom Himmel holt. Da nimmt sie gerne in Kauf, immer mal wieder mit leerem Bauch ins Bett zu gehen, ihre egomanische Künstlermutter zu ertragen oder in Nacht-und-Nebel-Aktionen den Wohnort zu wechseln. Mit den Jahren allerdings werden die sozialen Verhältnisse schlimmer, die Sprüche des Vaters schaler und das Lügengebäude der Eltern so zerbrechlich wie das Schloss aus Glas, das der Vater jahrelang zu bauen versprochen hatte. 

Jeannette Walls studierte am Barnard College und arbeitete über zwanzig Jahre als Journalistin in New York. Ihr internationaler Bestseller Schloss aus Glas (2006) wurde 2017 mit Naomi Watts und Woody Harrelson erfolgreich verfilmt. Es folgten Ein ungezähmtes Leben (2009), eine Romanbiographie über ihre Großmutter und Die andere Seite des Himmels (2013), die bewegende Geschichte zweier mutiger Mädchen im Kalifornien der 1970er Jahre. Zusammen mit ihrem Mann, dem Schriftsteller John Taylor, lebt Jeannette Walls im ländlichen Virginia.

IIDie Wüste


Ich stand in Flammen.

Das ist meine früheste Erinnerung. Ich war drei Jahre alt, und wir wohnten in einem Wohnwagenpark in irgendeiner Stadt, irgendwo in Südarizona. Ich trug ein rosa Kleid, das meine Großmutter mir gekauft hatte, und stand auf einem Stuhl vor dem Herd. Rosa war meine Lieblingsfarbe. Das Kleid hatte einen kurzen Rock, der abstand wie ein Tutu, und wenn ich es anhatte, drehte ich mich gern vor dem Spiegel im Kreis und stellte mir vor, ich wäre eine Ballerina. Doch in dem Augenblick trug ich das Kleid, um Hot Dogs zu kochen. Ich sah zu, wie sie im kochenden Wasser nach oben trieben und tanzten, während die Vormittagssonne durch das winzige Küchenfenster des Wohnwagens drang.

Ich hörte Mom nebenan singen, während sie an einem ihrer Gemälde arbeitete. Juju, unser schwarzer Hund, schaute mir zu. Ich spießte eins von den Hot Dogs mit einer Gabel auf, bückte mich und hielt es ihm hin. Das Würstchen war heiß, deshalb leckte Juju zögernd daran, aber als ich mich aufrichtete und wieder im Topf rührte, spürte ich einen Hitzeschwall an meiner rechten Seite. Ich wandte den Kopf und merkte, dass mein Kleid brannte. Starr vor Schrecken sah ich zu, wie die gelbweißen Flammen eine gezackte braune Linie durch den rosa Kleiderstoff fraßen und an meinem Bauch emporstiegen. Dann sprangen die Flammen hoch und erreichten mein Gesicht.

Ich schrie. Ich roch Brandgeruch und hörte ein grässliches Knistern, als das Feuer meine Haare und Wimpern versengte. Juju bellte. Ich schrie wieder.

Mom kam ins Zimmer gerannt.

»Mommy, Hilfe!«, kreischte ich. Ich stand noch immer auf dem Stuhl, schlug mit der Gabel, die ich zum Rühren benutzt hatte, nach dem Feuer.

Mom rannte hinaus und kam mit einer von den Armeedecken zurück, die ich nicht ausstehen konnte, weil die Wolle so kratzte. Sie warf die Decke um mich und erstickte die Flammen. Dad war mit dem Auto unterwegs, deshalb packte Mom mich und meinen Bruder Brian und lief zu dem Wohnwagen nebenan. Die Frau, die dort wohnte, hängte gerade Wäsche auf. Sie hatte Wäscheklammern im Mund. Mom erklärte ihr mit unnatürlich ruhiger Stimme, was passiert war, und fragte, ob sie uns bitte zum Krankenhaus fahren könnte. Die Frau ließ ihre Wäscheklammern und die Wäsche an Ort und Stelle auf den Boden fallen und rannte wortlos zu ihrem Auto.

 

In der Notaufnahme wurde ich auf eine Trage gelegt. Die Krankenschwestern sprachen in lautem, besorgtem Flüsterton, während sie mit einer glänzenden Schere alles abschnitten, was von meinem schönen rosa Kleid nochübrig geblieben war. Dann hoben sie mich hoch, legten mich auf ein großes Metallbett voller Eiswürfel und verteilten auch noch Eisüber meinen Körper. Ein Arzt mit silberweißem Haar und schwarzer Brille führte meine Mutter aus dem Zimmer, und als sie hinausgingen, hörte ich ihn sagen, dass es sehr ernst sei. Die Krankenschwestern blieben da und kümmerten sich weiter um mich. Ich merkte, dass ich alle in Aufregung versetzt hatte, und war ganz still. Eine von ihnen drückte mir die Hand und sagte, ich würde wieder gesund werden.

»Ich weiß«, sagte ich,»aber wenn nicht, ist das auch okay.«

Die Schwester drückte mir noch einmal die Hand und biss sich auf die Unterlippe.

Das Zimmer war klein und weiß, mit hellen Lampen und Metallschränken. Ich starrte eine Zeit lang auf die Reihen winziger Punkte in den Deckenpaneelen. Eiswürfel warenüber meinen Bauch und den Brustkorb verteilt und drückten gegen meine Wangen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie eine kleine, schmutzige Hand dicht neben meinem Gesicht nach oben griff und eine Hand voll Eiswürfel nahm. Ich hörte ein lautes, knirschendes Geräusch und blickte nach unten. Mein Bruder Brian kaute Eis.

 

DieÄrzte sagten, ich hätte großes Glück gehabt. Sie nahmen Hautteile aus meinem Oberschenkel und pflanzten sie auf die am schlimmsten verbrannten Stellen an Bauch und Brustkorb. Sie sagten, dass nenne man Hauttransplantation. Als sie fertig waren, bandagierten sie die gesamte rechte Seite meines Körpers.

»Kuck mal, ich bin eine Halbmumie«, sagte ich zu einer der Schwestern. Sie lächelte und schob meinen rechten Arm in eine Schlinge, die sie am Kopfende des Bettes befestigte, sodass ich ihn nicht mehr bewegen konnte.

Die Schwestern undÄrzte stellten mir viele Fragen. Wie hatte ich mich verbrannt? Haben deine Eltern dir schon mal wehgetan? Woher hast du die vielen Prellungen und Schürfwunden? Meine Eltern tun mir nie weh, sagte ich. Die Schürfwunden und Prellungen hatte ich vom Draußen-Spielen und die Verbrennungen vom Hot-Dogs-Kochen. Sie fragten, wieso ich mit nur drei Jahren schon allein Hot Dogs kochte. Weil es leicht war, sagte ich. Du tust einfach die Hot Dogs ins Wasser und kochst sie. Ohne eins von den komplizierten Rezepten, die man erst verstand, wenn man schon in die Schule ging. Wenn der Topf voll Wasser war, konnte ich ihn nicht mehr heben, erklärte ich ihnen, deshalb schob ich einen Stuhl ans Waschbecken, stieg drauf und füllte ein Glas Wasser, dann stieg ich auf einen Stuhl am Herd und goss das Wasser in den Topf. Das tat ich so lange, bis genug Wasser im Topf war. Dann machte ich den Herd an, und wenn das Wasser kochte, warf ich die Hot Dogs rein.»Mom sagt, ich bin schon reif für mein Alter«, erzählte ich ihnen,»und sie lässt mich oft allein kochen.«

Zwei Schwestern tauschten Blicke, und eine von ihnen schrieb irgendwas auf ein