: Denis Diderot
: Jacques der Fatalist und sein Herr
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783882219319
: 1
: CHF 18.10
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 428
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In neuer Übersetzung Denis Diderot, der vielleicht klügste, sicher aber heiterste und menschlichste der französischen Aufklärer, schenkte uns mit seinem Roman ?Jacques der Fatalist und sein Herr? die Summe seiner ironischen Beschäftigung mit Philosophie und Ästhetik. Diderot sprüht vor Erzähllust und schickt sein Protagonistenpaar, das an Don Quijote und Sancho Pansa erinnert, auf eine Reise durch Frankreich. Die beiden erörtern höchst geistreich unablässig philosophische Fragen während sie reiten und rasten, in Wirtshäusern einkehren, dort mit anderen reden und bis tief in die Nacht Wein trinken. Hinrich Schmidt Henkel schöpft in seiner Neuübersetzung die Lakonie und den pointierten Rhythmus des Originals voll aus und bietet dem Leser die Möglichkeit, Diderot als Zeitgenossen zu lesen. 'von 6 Uhr bis halb 12 Diderots ?Jacques le Fataliste? in der Folge durchgelesen mich wie der Bel zu Babel an einem solchen ungeheuren Maale ergözt und Gott gedanckt dass ich so eine Portion mit dem großen Apetit auf ein mal als wärs ein Glas Wasser und doch mit unbeschreiblicher Wollust verschlingen kann' Johann Wolfgang von Goethe, 1780

Denis Diderot (1713 bis 1784) war ein französischer Schriftsteller und Philosoph der Auf klärung, einer der vielseitigsten Autoren und berühmtesten Enzyklopädisten seiner Zeit. Er schrieb philosophische Romane, Dialoge, Dramen und Essays. Zusammen mit d'Alembert gaber die Encyclopédie heraus, in deren 28 Bänden das gesamte Wissen der Zeit von den bedeutendsten Köpfen der Aufklärung abgehandelt wurde.

WIE WAREN sie einander begegnet?— Durch Zufall, wie alle.— Wie hießen sie?— Was schert Sie das?— Wo kamen sie her?— Vom nächstgelegenen Ort.— Wohin gingen sie?— Wer weiß schon, wohin er geht?— Was sagten sie?— Der Herr sagte nichts, und Jacques sagte, sein Hauptmann habe gesagt, alles Gute oder Schlechte, das uns hienieden widerfährt, stehe dort oben geschrieben.

DER HERR: Das ist mal ein großes Wort.

JACQUES: Mein Hauptmann sagte außerdem, jede Kugel, die einer abfeuert, ist bereits mit einer Adresse versehen.

DER HERR: Und er hatte recht.

Nach einer kurzen Pause rief Jacques aus:»Der Teufel hole diesen Wirt und seine Wirtschaft!«

DER HERR: Warum seinen Nächsten zum Teufel schicken? Das ist nicht christlich.

JACQUES: Weil ich mich an seinem schlechten Wein berauschte und dabei vergaß, unsere Pferde zur Tränke zu führen. Mein Vater sieht das; erärgert sich. Ich zucke mit den Schultern; er greift einen Stock und lässt ihn nicht eben sanft auf ihnen tanzen. Ein Regiment zog vorüber auf dem Weg zum Lager vor Fontenoy; aus Verdruss lasse ich mich anwerben. Wir kommen dort an; schon geht die Schlacht los.

DER HERR: Und du bekommst eine Kugel an deine Adresse.

JACQUES: Sie haben es erraten; einen Schuss ins Knie; und Gott weiß, welche guten undüblen Abenteuer dieser Schuss nach sich gezogen hat. Sie hängen nicht mehr und nicht weniger zusammen als die Glieder der Kinnkette an einem Halfter. Ohne diesen Schuss zum Beispiel wäre ich wohl nie verliebt gewesen und würde nicht humpeln.

DER HERR: Du warst verliebt?

JACQUES: Und wie!

DER HERR: Wegen eines Schusses?

JACQUES: Wegen eines Schusses.

DER HERR: Davon hast du nie ein Wort erzählt.

JACQUES: Das glaube ich wohl.

DER HERR: Und warum?

JACQUES: Weil davon weder früher noch später erzählt werden konnte.

DER HERR: Und jetzt ist der Moment gekommen, von dieser Liebesgeschichte zu erfahren?

JACQUES: Wer weiß?

DER HERR: Dann fang doch auf gut Glück an…

Jacques begann die Schilderung seiner Liebesgeschichte. Es war nach dem Abendessen: das Wetter war drückend; der Herr schlief ein. Die Nachtüberraschte sie inmitten der Felder; schon waren sie in die Irre geraten. In großem Zorn fällt der Herr mit der Peitscheüber seinen Diener her, und der arme Teufel sagt bei jedem Hieb:»Der stand sicher auch dort oben geschrieben…«

Sie sehen, werter Leser, ich bin auf einem guten Wege, und jetzt läge es ganz bei mir, Sie ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre auf den Bericht von Jacques’ Liebesdingen warten zu lassen, indem ich ihn von seinem Herrn trenne und beide sämtlichen Zufällen unterwerfe, die mir so in den Sinn kämen. Was hindert mich daran, den Herrn zu verheiraten und zum Hahnrei zu machen? Jacquesübers Meer auf die westindischen Inseln zu schicken? seinen Herrn ebenfalls dorthin zu verfrachten? beide auf demselben Schiff nach Frankreich zurückzubringen? Es ist ja so leicht, Geschichten zu erfinden! Aber ich lasse die beiden mit einer schlechten Nacht und Sie mit dieser Verzögerung davonkommen.

Der Morgen dämmerte. Da sitzen sie wieder auf ihren Pferden und reiten weiter. Wohin? Das fragen Sie mich jetzt schon zum zweiten Mal, und zum zweiten Mal antworte ich Ihnen: Was kümmert Sie das? Wenn ich erst auf das Ziel ihrer Reise zu sprechen komme, dann ist es mit Jacques’ Liebesdingen vorbei… Sie ritten eine Weile schweigend dahin. Als sich beide ein wenig von ihren Zwistigkeiten erholt hatten, fragte der Herr seinen Diener:&