ZWEITER TEIL
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Seinäjoki gehört nicht gerade zu den beliebtesten Touristenzentren Europas, das stellten Taavetti Rytkönen und Seppo Sorjonen sehr bald fest. Eine von Alvar Aalto entworfene Kirche,Lakeuden Risti, das Kreuz der Ebene, einige Verwaltungsgebäude, der Bahnhof– das war noch das Beste, was der Reisende in Seinäjoki finden konnte.
Das Kleinstadtmilieu minderte die Wiedersehensfreude. Die Männer kamen zu dem Schluss, dass sie weiterreisen sollten, egal wohin. Rytkönen erinnerte sich, dass hier inÖsterbotten, am Oberlauf des Flusses Lestijoki, ein alter Kriegskamerad wohnte, der Landwirt und ehemalige Schreiber der Panzerkompanie, Heikki Mäkitalo. Er schlug vor, sie könnten den Veteranen besuchen und schauen, was er so trieb. Während des Krieges hatte Mäkitalo zu den besten Männern gehört.
Sorjonen packte die Koffer und vergaß dabei auch nicht die antike Kaffeemühle, die seit Tampere zu Rytkönens Ausrüstung gehörte. Am nächsten Morgen bezahlten sie die Hotelzimmer und fuhren zum Fluss Lestijoki. Dann ging die Fahrt weiterüber Lapua, Alajärvi und Vimpeli nach Halsua, von dort gelangten sie ins Kirchdorf Lestijärvi. Sorjonen erkundigte sich auf dem Gemeindeamt nach der Adresse der Mäkitalos. Beim Amt für Steuerwesen bekam er eine genaue Auskunft. Der unter die Liegenschaftssteuer fallende fragliche Steuerpflichtige wohne im Dorf Sykäräinen. Er sei bereits in Rente, betreibe aber dennoch Feldanbau, aus purem Eigensinn, obwohl das für einen Mann seines Alters auf keinen Fall mehr empfehlenswert sei. Auf dem Gemeindeamt war Mäkitalo bestens bekannt. Inoffiziell ließ man ihm durch die zwei Besucher ausrichten, er solle endlich aus den Sümpfen herauskommen und mit seiner Frau ins Altersheim ziehen, so wie es sich für anständige Rentner gehöre. Als Landwirt bringe er mehrÄrger als Nutzen. Er schlage ohne Genehmigung Bäume, bezahle keine Steuern, verklage unschuldige Menschen und veröffentliche in der Zeitung gemeine Hetzartikelüber die Kommunalbeamten. Im letzten Winter habe eben dieser Heikki Mäkitalo eine Jagdhütte der Polizei im Kotkanneva-Moor zerstört. Er habe den Schornstein mit Dynamit voll gestopft, und als der explodiert sei, sei die ganze Hütte in die Luft geflogen und habe sich in unzähligen Einzelteilenüber die Umgebung verteilt. Natürlich habe der Alte seine infame Tat nicht zugegeben, obwohl man ihn von offizieller Seite stark unter Druck gesetzt habe.
Zwischen den Mooren und den verkümmerten niedrigen Wäldern am Fluss Lestijoki entdeckten die Männer nach langem Suchen endlich Heikki Mäkitalos Frontsoldatenhof. Dieser befand sich am Ende einer schmalen Schotterstraße, auf einer Seite begrenzt vonödem Siedlungsland, auf der anderen von trostlosen Mooren. In dieser deprimierenden Landschaft hatte Frontsoldat Heikki Mäkitalo seinen Bauernhof angelegt, eine Sauna, ein Haus, einen Kuhstall und weitere notwendige Gebäude gebaut. Er hatte Gräben gezogen, Bäume gefällt, Sümpfe trockengelegt, Heu gemäht und Rinder gezüchtet.
Sie trafen den Hausherrn in der Stube an, wo er im Schaukelstuhl saß. Seine Frau Anna goss gerade die Blumen auf dem Fensterbrett. An der Wand hing eine Pendeluhr, die gemütlich tickte.
Die Kriegsveteranen polterten fröhlich durcheinander, während sie sich die Hände schüttelten.
»Menschenskinder, Rytkönen!«
»Mäkitalo, verflucht!«
Die Männer fragten sich gegenseitig aus, wie es ihnen ergangen sei. Mäkitalo erinnerte sich, dass sie zuletzt im Lapplandkrieg zusammen gewesen waren. Das war lange her. Man trank Kaffee. Die Hausfrau versprach, die Sauna zu heizen. Sorjonen erbot sich, Saunaholz und Wasser zu tragen. Rytkönen lobte Mäkitalos Frau, sie sei ein netter Mensch, außerdem recht jung im Vergleich zu ihrem Mann.
Als die Kriegsveteranen nackt auf der Schwitzbank saßen, sah Sorjonen mit Verwunderung die Narben auf ihrer Haut, unauslöschliche Folgen des Krieges. Mäkitalosälteste Narbe ging auf den Winterkrieg zurück, dieübrigen auf die Kämpfe auf der Karelischen Landenge und den Lapplandkrieg. Sorjonen sagte, er habe sich bisher den Krieg nicht so schlimm vorgestellt, es sei furchtbar, dass die Männer seine grausamen Spuren ihr Leben lang auf ihren Körpern tragen müssten.
Doch die beiden Alten winkten ab:»Die paar Narben! Du hättest die Soldaten sehen sollen, die gefallen sind. Auf Finnlands Friedhöfen liegen die narbigsten toten Helden der ganzen Welt.«
Zwischen den Saunagängen saßen die Männer draußen auf den Stufen und tranken den Kognak, den Rytkönen mitgebracht hatte. Mäkitalo erzählte, Rytkönen sei seinerzeit ein tollkühner Kämpfer gewesen. In den Abwehrkämpfen auf der Karelischen Landenge habe er mehrere russische Panzer zerstört.
»Pah, die alten Schrottkisten...«
»Oh doch, ich weiß es noch genau, immerhin war ich der Schreiber der Kompanie. Aber dann hast du einen Splitter in den Schädel gekriegt, war das in Vuosalmi?«
»Genau. Es war das Geschoss einer Panzerabwehrkanone, glaube ich, aber beschwören kann ich es nicht.«
Mäkitalo berichtete, dass für Rytkönen der Krieg damit erst einmal zu Ende gewesen sei, man habe ihn zum Sterben ins Lazarett gebracht. Doch noch im selben Herbst sei er wieder in seine Einheit zurückgekehrt, gerade rechtzeitig zum Lapplandkrieg, um d