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Oiva Juntunen war unerbittlich geblieben. Der Granatwerferzug wollte ihm den Hügel auf dem Geröllfeld streitig machen, um von obenÜbungsgranaten abzuschießen, doch das konnte er nicht zulassen. Im Geröllfeld lag zu viel Gold, als dass einfältige Rekruten dort herumtrampeln durften. Er musste erst den Dolch ziehen, ehe sie glaubten, dass es ihm ernst war.
Drei Tage und Nächte saß Oiva Juntunen da und bewachte das Geröllfeld. Dann war das Manöver beendet, und die Soldaten mit ihren Granatwerfern verschwanden. Oiva Juntunen machte sich ein kleines Lagerfeuer und schlief zum ersten Mal nach langer Zeit wieder ruhig.
Dann gingen ihm das Brot und die Wurst aus. An Unannehmlichkeiten herrschte hingegen kein Mangel. Er hatte sich verirrt, war todmüde und von Mücken zerstochen. Zuweilen fürchtete er, verrückt zu werden. Aber das Gold konnte er unmöglich hier liegen lassen. Er musste es vorläufig noch bewachen, und wenn es sein Leben kostete.
Zur gleichen Zeit nahm Major Remes vom Kuopsu her Kurs auf Oiva Juntunens Lager. In seiner Karte hatte er sich die Stelle mit dem VermerkLager des Verrückten gekennzeichnet. Der Major hatte jetzt Urlaub, er war schwer verkatert, aber ansonsten zufrieden. Ein ganzes freies Jahr lag vor ihm. Wie er es nutzte, würde sich zeigen. Er hatte keine Eile.
Major Remes ging zunächst am Kuopsu vorbei nach Norden ins Juha-Vainaan-Maa, dann hielt er sich nordwestlich in Richtung Potsurainen. Nach einem Marsch von fünf Kilometern kam er imLager des Verrückten an.
Oiva Juntunen schlief am erloschenen Lagerfeuer. Sein Gesicht war mit Mücken bedeckt. Der Bursche schien in ziemlich elendem Zustand zu sein.
Major Remes setzte seinen Rucksack ab und machte sich daran, das Feuer zu schüren. Es war Abend, die Luft kühl. Nachts könnte es kalt werden. Der Major beschloss, aus Reisern eine Schutzhütte zu bauen. Zuerst wollte er jedoch Kaffee kochen und Dosenfleisch und Knäckebrot essen. Auch ein Schnaps wäre nichtübel, aber alle Flaschen mit Pomeranzengetränken waren bereits geleert.
Der Major stellte fest, dass der schlafende Verrückte kein echter Wildmarkwanderer war. Er besaß zwar eine entsprechende Ausrüstung, aber an der Art, wie er Feuer gemacht und sich verpflegt hatte, sah man, dass er vom Verhalten in diesen Landstrichen keine Ahnung hatte. Er wirkte wie ein verwöhntes Muttersöhnchen. Aber zäh war der Bursche, hatte er doch einem ganzen Granatwerferzug Widerstand geleistet. Der Major wusste so etwas zu schätzen.
Als das Feuer prasselte und Wärme verbreitete, erwachte der Schläfer plötzlich. Major Remes begrüßte den Mann, doch der zeigte kein Interesse am Austausch von Höflichkeiten, sondern sprang auf und rannte aufs Geröllfeld hinaus. Dort setzte er eine wilde Miene auf und zückte seinen Dolch.
»Ich bin Major Remes. Hier wäre Kaffee, wenn Sie möchten.«
Der entkräftete Oiva Juntunen war völlig durcheinander. Was hatte ein Major hier zu suchen? Steckte er mit Siira unter einer Decke? Oiva Juntunen beschloss, bis zum Schluss um seine Goldbarren zu kämpfen.
Remes erkannte, dass der Mann aus dem Gleichgewicht war. Verrückt, so schien es. Er hatte sich vielleicht verirrt, Hunger gelitten und den Verstand verloren. Der Major bekam Mitleid mit dem geschwächten Wanderer. Ein magerer Städter ... Man musste dem armen Kerl jedenfalls erst mal etwas zu essen anbieten, vielleicht käme er dann zu sich.
Der Major goss Kaffee in einen Becher und rührte Zucker hinein. Dannöffnete er eine Büchse mit einem halben Kilo Rind- und Schweinefleisch, bestrich eine Knäckebrotscheibe dick mit Butter und belegte sie mit tüchtigen Stücken von dem Konservenfleisch. Schließlich brach er noch eine große Tafel Partisanenschokolade auseinander und stellte alles auf einem flachen Stein zurecht. Er machte einladende Handbewegungen und zog sich aus der Nähe des Lagerfeuers zurück.
Oiva Juntunen stellte fest, dass der Major keine sehr bösen Absichten zu haben schien, da er ihm Essen anbot. Er beschloss, die Einladung anzunehmen, behielt aber die ganze Zeit den Dolch in Griffweite, falls der Offizier auf die Idee käme, ihn anzugreifen.
Während Oiva Juntunen aß, baute Remes sich etwa zwanzig Meter vom Feuer entfernt eine kleine Schutzhütte. Er redete beruhigend auf seinen verrückten Kameraden ein, der mit Appetit Brot und Fleisch verzehrte und auch den Kaffee trank. Aber Antworten gab der Mann nicht. Als er aufgegessen hatte, zog er sich auf das Geröllfeld zurück, legte sich hin und schlief bald