Das Mutterland
Im Jahre587/586 v. Chr. kam es zur endgültigen Einnahme der Stadt Jerusalem durch Nebukadnezzar II. Jerusalem, das einstige politische Zentrum des judäischen Staates, und der salomonische Tempel, der uneinnehmbar geglaubte befestigte Wohnsitz Gottes, waren von den Babyloniern nahezu vollständig zerstört worden. Der mächtig geglaubte Gottesberg Zion war nur noch ein Schutthügel in einer verwüsteten und entvölkerten, machtlosen und politisch abhängigen kleinen Stadt. Allerdings gab es in Jerusalem auch in den Jahrzehnten nach der Deportation des Großteils der Priesterschaft wahrscheinlich noch einen bescheidenen Opferbetrieb.
Nach dem Sieg des Kyros II. (601–530 v. Chr.) über die Neubabylonier wurde Judäa unselbständiger Teil einer persischen Provinz. Schon im darauffolgenden Jahr wurden der regelmäßige Opfergottesdienst und der Wiederaufbau des Heiligtums in Jerusalem durch ein königliches Dekret wieder gestattet. Diese Maßnahmen der Perser, die hierdurch das Problem der Kontrolle ihres weiten Herrschaftsraums zu lösen trachteten, beabsichtigten die Schaffung eines organisatorischen und räumlichen Zentrums der regionalen Verwaltung, das vor allem dem effizienten Eintreiben von Steuern und Tributen zugute kommen sollte. Sie trugen aber auch zur Förderung der ethnischen und religiösen Identität der jüdischen Stadtbevölkerung Jerusalems bei.
Unter den Bewohnern Jerusalems scheint das Bedürfnis nach einem Wiederaufbau des Tempels angesichts des allgegenwärtigen Elends zunächst gering gewesen zu sein. Dennoch propagierten priesterliche und prophetische Kreise die Notwendigkeit, das irdische Kultzentrum wieder herzurichten. Dieser Ort der rituellen Entsühnung des judäischen Volkes durch Opfer verhinderte ihrer Überzeugung nach die Anhäufung ungesühnter Schuld bzw. die hierdurch bewirkte Anballung unheilvoller Macht. Die Wiederherstellung des Jerusalemer Tempels sei unbedingte Voraussetzung allen von hier aus in die Welt strömenden Segens. Die Botschaft derPropheten Haggai und Sacharja, die diesen Gedanken Ausdruck verlieh, indem sie den Tempel als Quelle paradiesischen Heils schilderten, fand ihren Widerhall in der Hoffnung eines Teiles der Bewohner Jerusalems. Man glaubte, allein das baldige wunderbare Eingreifen Gottes selbst könne einerseits die überlebensnotwendige Fruchtbarkeit des Landes bewirken, andererseits der Stadt zu ihrer einstigen nationalen Bedeutung und Macht verhelfen und damit auch jeden Einzelnen aus seiner aktuellen Notsituation befreien.
Erst im Jahre515 v. Chr. fand die Einweihung des mit persischer Unterstützung errichtetenZweiten Tempels in Jerusalem statt. Die in den folgenden Jahrhunderten mehrfach umgebaute und erweiterte Tempelanlage wurde nach dem Vorbild auf dem Fundament und nach den Maßen des zerstörten salomonischen Tempels errichtet, jedoch in weitaus bescheidenerem Rahmen als dieser. Ihre architek