: Bruno Kern
: Die bedeutendsten Grabreden
: marixverlag
: 9783843800594
: 1
: CHF 7.00
:
: Geschichte
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Grabreden sind Reden gegen die Sprachlosigkeit des Todes. Bereits der erste literarische Text der Menschheitsgeschichte, den wir kennen, ist eine Auseinandersetzung mit dem Tod, die heute wie damals berührt. In diesem Band sind berühmte Grabreden vom Altertum bis in die jüngste Zeit gesammelt. Vom Gilgamesch-Epos bis in die Gegenwart spannt sich der Bogen. Martin Luther, Philipp Melanchthon, Abraham Lincoln, Ludwig Börne, Friedrich Engels und Richard von Weizsäcker sind nur einige aus der Reihe der berühmten Redner, die hier - zum Teil das erste Mal im Druck oder in deutscher Übersetzung - zu Wort kommen. Viele der Grabreden sind nicht nur rhetorische Glanzlichter ihrer jeweiligen Zeit, in ihnen verdichten sich auch exemplarisch der Geist und die Mentalität einer Epoche. Der Band bietet so anhand prominenter Beispiele eine kleine Kulturgeschichte des Todes, aber auch einen interessanten Streifzug durch die abendländische Geschichte insgesamt. Den hier dokumentierten Reden wird jeweils eine informative Einführung vorangestellt, die den historischen Kontext erläutert, aufschlussreiche Zusatzinformationen bietet und die vorgestellten Reden unmittelbar lebendig werden lässt.

Dr. Bruno Kern, geboren 1958, studierte Theologie und Philosophie in Wien, Fribourg und München; er lebt zurzeit in Mainz und arbeitet als selbstständiger Lektor und Übersetzer. Für den Marix-Verlag hat er unter anderem die Lieder der Hildegard von Bingen neu übersetzt.

„… dem Gesetz gemäß die Gebliebenen betrauert“


Die Leichenrede der Aspasia

(5./4. Jh. v. Chr.)

Einführung


Die im Folgenden dokumentierte Leichenrede ist in einem der Dialoge Platons enthalten, dessen Echtheitscharakter nicht bestritten wird. Menexenos, nach dem dieser Dialog benannt ist und der hier als fiktiver Dialogpartner des Sokrates auftritt, ist wie Platon selbst ein Schüler des Sokrates. Im Lauf des Dialogs lässt Platon Sokrates – als zentrales Stück dieses Dialogs – die Leichenrede der Aspasia zitieren, einer äußerst bemerkenswerten Frau. Aspasia (ca. 470 bis 420 v. Chr.) stammte aus Milet und war die zweite Frau des Perikles, der die kulturelle Blütezeit Athens nach den Perserkriegen wesentlich prägte. Gelegentlich wird Aspasia als die Mätresse oder Hetäre des Perikles bezeichnet (so bereits bei Antisthenes von Athen). Dies ist einerseits Teil der üblen Nachrede, der Aspasia ausgesetzt war, andererseits dem attischen Recht geschuldet, das die Ehe zwischen einem Athener und einer Milesierin als Konkubinat betrachtete. Aspasia war von hoher philosophischer Bildung und hatte vermutlich enge Beziehungen zu Sokrates, Sophokles und Euripides. Platon nennt unter den Lehrern des Sokrates zwei Frauen: neben Diotima ist es eben jene Aspasia, von der Sokrates seine rhetorische Bildung erhalten haben soll. Die Athener unterstellten ihr einen starken Einfluss auf Perikles, und dies war wohl letztlich der Grund dafür, dass man sie der Gottlosigkeit und Kuppelei anklagte. Sie entkam nur knapp einer Verurteilung.

Die von Sokrates zitierte Rede der Aspasia ähnelt in Vielem der berühmten Gefallenenrede des Perikles, wie sie uns der griechische Geschichtsschreiber Thukydides überliefert hat. Im Menexenos wird dies damit erklärt, dass Aspasia die Rede des Perikles verfasst und in ihrer eigenen Rede „Übriggebliebenes“ daraus „zusammengekittet“ habe. Nach Meinung vieler ist die Leichenrede der Aspasia als Parodie aufzufassen. Der Text der Rede selbst bietet hierfür keinen Anhaltspunkt, sehr wohl jedoch der Kontext dieses platonische Dialogs, in dem Sokrates den Brauch von Leichenreden mit beißendem Spott bedenkt: „Es ist doch von gar vielen Se