: Karl Erich Grözinger
: Kafka und die Kabbala Das Jüdische im Werk und Denken von Franz Kafka. 5., aktualisierte und erweiterte Auflage
: Campus Verlag
: 9783593423029
: 5
: CHF 33.80
:
: "Deutsche Sprachwissenschaft; Deutschsprachige Literaturwissen- schaft"
: German
: 311
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Dieses Buch, zuerst erschienen 1992, in viele Sprachen übersetzt und hier in 5., durchgesehener und erweiterter Ausgabe neu vorgelegt, gilt als Standardwerk in der Kafka-Forschung weltweit. Es legt die jüdisch-religiösen Wurzeln in Kafkas Werk frei und zeigt anhand des Text-, Motiv- und Quellenvergleichs, wie in Kafkas Literatur die alte rabbinische und kabbalistische Tradition neben die neueren Befindlichkeiten eines assimilierten Judentums in der ehemals deutsch-tschechischen Stadt Prag tritt.

Karl Erich Grözinger ist Professor emeritus für Religionswissenschaft und Jüdische Studien an der Universität Potsdam und Senior Professor am Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg. Sein Werk »Jüdisches Denken«, Band 1 - 3, ist bei Campus erschienen (2004 ff.).
Der Proceß und die Türhüter-Tradition in der Kabbala

Schon Gershom Scholem schrieb einst an Walter Benjamin, der sich mit dem Gedanken eines Essays über Kafka trug: 'Ich würde auch Dir raten, jede Untersuchung über Kafka vom Buche Hiob aus zu beginnen oder zum mindesten von einer Erörterung über die Möglichkeit des Gottesur-teils, welches ich als den einzigen Gegenstand der Kafkaschen Produktion ansehe.' Wie immer man zu einer solchen Reduktion des Kafkaschen Werkes stehen mag, so viel ist deutlich, dass gerade das Thema des Ge-richts der Topos ist, mit dem Kafka unverkennbar in der jüdischen Tradi-tion steht. Man muss indessen, ich wiederhole es, mit dem Prädikat ?jü-disch? behutsam und differenzierend umgehen, da das Judentum in seiner langen Geschichte und bis heute stets eine Pluralität von Auffassungen unter seinem Dach vereinte, die oft in schroffem Widerspruch zueinander standen. Das Judentum war und ist - weniger auf dem Gebiete der Halacha, also dem gesetzlichen Bereich, umso mehr auf dem philosophisch-theologischen - der Tummelplatz einer großen Vielfalt von Möglichkeiten, die mehr oder weniger miteinander kommunizieren. Man tut darum gut daran, näher zu prüfen, mit welchen Strömungen innerhalb des Judentums Kafka am meisten verbunden ist. Und ich wiederhole, die Antwort muss wohl lauten: Es ist, neben gemeinrabbinischen Vorstellungen, eine volkstümliche, in Predigten, Gebeten und im religiösen Alltag sich manifestierende popularisierte Form der Kabbala, und es sind darüber hinaus die Erzähltraditionen der jüdischen Volkserzählung vor allem Osteuropas, die man nicht immer mit vollem Recht die chasidischen Erzählungen nennt, weil nur ein Teil von ihnen wirklich spezifisch chasidische Themen verhandelt.

Entgegen dem Systembedürfnis des ordnenden Wissenschaftlers, der jedes Kapitel an den ihm der Sache nach zugehörenden Ort stellen will, möchte ich hier die Reihenfolge umkehren, um mit dem Evidentesten die Tür aufzustoßen und die Skeptiker oder Zögerer zum weiteren Zuhören williger zu machen. Ich will hier die These aufstellen: Gerade das befremdlichste und Kafkas Denken am meisten charakterisierende Werk, Der Proceß, ist nicht nur in seinen grundlegenden Gedanken, sondern darüber hinaus in seinem Aufbau und in seiner Konzeption von der kabbalistisch bestimmten jüdischen Moralliteratur geprägt, und zwar in einem so weitgehenden Maße, dass es nicht verwegen erscheint, Kafkas Proceß ganz von da her zu verstehen. Ich betone jedoch noch einmal: Die Übereinstimmung sollte nicht vorschnell die Unterschiede übersehen lassen. Kafkas Proceß-Roman wäre nicht in die große jüdische Literaturtradition einzuordnen, wenn da nicht im Gewande der Übereinstimmung und des Gleichklanges das Neue und Besondere zu entdecken wäre, würde nicht aus den wohlgeordneten Beeten alter Formen eine ganz neue Pflanze sprießen.

Inhalt6
Vorwort10
Kafka und das Judentum14
Der Proceß und die Türhüter-Tradition in der Kabbala29
Gottes Gericht im Jiddischen Theater49
Zeiten und Weisen des Gerichts52
Der ekstatische Himmelsaufstieg59
Vor dem Gesetz65
»Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für Dich bestimmt«65
Jüdische Traditionen und Kafka – zur Methode69
Die Türhüterlegende im Lichte der Kabbala77
Das Verhältnis von Gerichtsbeschreibung und Türhütertradition85
Zum Rangverhältnis von Mensch und Gerichtspersonal87
Das Gesicht als Spiegel des Gerichts89
Die himmlischen Gerichtshöfe in der Darstellung der Kabbalisten – Geschichte als Gericht94
Der Einbruch des Gerichts in das menschliche Leben – Krankheit und Träume102
»Die Frauen haben eine große Macht« – Das weibliche Element im Rahmen der Gerichtshierarchien109
Die Gerichtsthematik in der ostjüdischen Volkserzählung – Kabbala als Erzählung115
Das Schloß – »wirklich beurteilt und entschieden werden die Dinge nur in der unabsehbaren Hierarchie der Instanzen«127
Die Tiergeschichten139
»Vielleicht wäre für dieses Tier das Messer des Fleischer seine Erlösung«139
»In der Thamühler Synagoge lebt ein Tier«160
Himmelsgericht durchs Wort – »Ich verurteile dich jetzt zum Tode des Ertrinkens«164
Sprache und Wirklichkeit – Schreiben als Gebet170
Josefine – oder das Volk der Mäuse184
Die Aphorismen – Zwischen den zwei Paradiesesbäumen206
Schuld und Sühne in den Romanen und Aphorismen219
Die Romane219
Die Aphorismen232
Kafka und kein Ende – noch eine Deutung?239
Der Proceß-Roman als Denk-Prozess250
Gottesglaube und Literatur als menschliche Überlebensstrategie262
Kafkas Rede vom Göttlichen im ethischen Kontext269
Kafkas Rede vom Göttlichen im existentiell-ontologischen Kontext272
Anhang278
Quellentexte280
Zu den Kapiteln: »Die himmlischen Gerichtshöfe in derDarstellung der Kabbalisten« und »Das Schloß«280
Zum Kapitel: Tiergeschichten291
Zum Kapitel: Himmelsgericht durchs Wort294
Glossar298
Literatur303