2. Die neuen Imperiumstheorien
In viele wissenschaftliche Arbeiten hat der Begriff„Imperium“,„Empire“ oder„liberaler Imperialismus“ in Verbindung mit der EU bereits Eingang gefunden. Es wird hier nicht angestrebt, sie in ihrer Breite und Vielfalt vollständig darzustellen. Vielmehr sollen vier häufig zitierte Ansätze vorgestellt werden, die jeweils einen eigenen kohärenten Imperiumsbegriff entwerfen. Das politische System der EU bzw. die politische Herrschaft in Europa wird jeweils als eigenes theoretisches Konstrukt in der Form eines neuartigen Imperiums modelliert oder zumindest eine stärkere Orientierung hin zu einer imperialen Herrschaftsordnung für die Zukunft empfohlen. Der Fokus der Betrachtung liegt zunächst bei der jeweiligen Ableitung des Imperiums aus einer spezifischen Fragestellung und der Deskription modellrelevanter Begriffe. Die konstituierte Herrschaftsordnung und abgeleitete Handlungslogiken oder Governance-Modi werden danach komparativ in Gliederungspunkt 3 diskutiert. Es soll aufgezeigt werden, dass alle vier Konzeptionen teils zu sehrähnlichen und teils zu gegenteiligen Ergebnissenüber die europäische Ordnung und zugehörigen politischen Herausforderungen kommen. Vereint sind alle Ansätzeüber die gemeinsame Begriffsverwendung„Imperium“.
2.1 Das„postmoderne“ Imperium von Robert Cooper
Der Diplomat Robert Cooper galt als einer der wichtigsten Berater des britischen Premiers Tony Blair in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Im Jahr 2002 wechselte er vom Foreign Office als Generaldirektor für auswärtige und politisch-militärische Angelegenheiten in das Generalsekretariat des Rats der Europäischen Union. In seiner Monografie„The Breaking of Nations“ und weiteren Artikeln diskutiert er Perspektiven der Sicherheitspolitik sowie der Weltordnung im 21. Jahrhundert aus europäischer Perspektive. Er ist einer der ersten Vertreter der EU, der ein neues Konzept imperialer Politik für die EU in den Diskurs eingebracht und vertreten hat. Am Anfang dieserÜberlegungen steht auch bei Cooper die Zäsur des internationalen Systems 1989/90. Mit dem Ende der Dominanz der zwei Supermächte zerfällt die internationale Ordnung nach seiner Theorie in drei verschiedene Ordnungsprinzipien, die er als vor-modern, modern und post-modern bezeichnet (vgl. Cooper 2003: 15ff.). Seine zentrale Fragestellung zielt auf die politische Herstellung von (physischer) Sicherheit, welche das zentrale Unterscheidungsmerkmal der drei Ordnungen ist.
2.1.1 Zerfall der Weltordnung
Die vor-moderne Welt umfasst Territorien ohne oder mit nur schwacher staatlicher Souveränität, in denen kein hegemonialer Akteur die staatlichen Funktionen wahrnimmt. Es existiert kein legitimes Gewaltmonopol. Private Akteureüben mittels Gewalt oder Gewaltandrohung die politische Herrschaft aus, sie konkurrieren mit staatlichen Reststrukturen undübernehmen die sonst originären Staatsaufgaben. Aufgrund dieses Mangels an Staatlichkeit geht von der Vormoderne eine permanente Bedrohung in ihre Umgebung aus. Drogenhandel, organisierte Kriminalität und Terrorismus finden hier ihre Ausgangsbasis. Coopers Konzept der Vormoderne orientiert sich somit implizit stark am politikwissenschaftlichen Konzept der gescheiterten Staatlichkeit. Einen anhand empirischer Kriterien erstelltenÜberblick, welche Länder der Vormoderne angehören, kann z.B. der Failed-States-Index geben (vgl. The Fund for Peace 2009).
Das zweite Ordnungsprinzip der Moderne ist definiertüber souveräne Nationalstaaten mit legitimem Gewaltmonopol. Es entspricht der Sicht der realistischen Schule in den internationalen Beziehungen. Die staatliche Politik ist in innere undäußere Angelegenheiten getrennt, zwischen den Staaten herrscht ein striktes Nichteinmischungsprinzip in innere Angelegenheiten. Militärische undökonomische Stärke sind staatliche Kernziele, um Sicherheit herzustellen. Macht, Staatsräson und Interessenverfolgung bestimmen die internationale Ordnung. Im internationalen System herrscht Anarchie, weil es keinen höheren Souverän als den Staat gibt. Aus diesem Grund ordnen sich die Staaten nach ihrer Stärke und bilden ein System der Machtbalance. Hierin sieht Cooper das zentrale Problem der Moderne. Das staatliche Streben nach Stärke destabilisiert die Machtbalance auf internationaler Ebene. Selbst friedfertige Staaten müssen auf die Gefahr der wachsendenÜberlegenheit eines mächtigen Staates reagieren. Im Ergebnis ist das internationale System in der Moderne sehr fragil. Zahlreiche zwischenstaatliche Auseinandersetzungen zur Verschiebung oder Wiederherstellung der Machtbalance verursachen den Konfliktreichtum der Moderne. Als Beleg führt Cooper die zahlreichen Auseinandersetzungen im europäischen Staatensystem zwischen dem Westfälischen Frieden 1648 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 an (vgl. Cooper 2003: 21-26.). In der heutigen Welt nehmen die USA, als mit Abstand größte Militärmacht, eine fragile hegemoniale Stellung für die nicht atomar gerüstete Staatenwelt ein. Sie teilt die Werte der Post-Moderne und nimmt deshalb eine sicherheit