: Philip Kerr
: Böhmisches Blut Historischer Kriminalroman
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644216211
: Bernie Gunther ermittelt
: 1
: CHF 10,00
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 496
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
September 1941. Die Lebensmittelrationierung, die Angriffe der englischen Luftwaffe, die nächtliche Ausgangssperre - all das macht das tägliche Leben in der deutschen Reichshauptstadt Berlin alles andere als angenehm. In der vom Krieg geschüttelten Stadt treiben zudem Mörder und tschechische Terroristen ihr Unwesen. Aber für Bernie Gunther ist die Arbeit im Morddezernat der Kripo am Alexanderplatz nach den Schrecken der Ostfront beinahe Erholung. Leider muss er alles stehen- und liegenlassen - auch seine hübsche Kneipenbekanntschaft -, als sein alter Chef Reinhard Heydrich, inzwischen stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, ihn nach Prag beordert. Dort soll er ein Wochenende in dessen Landhaus verbringen. Neben Heydrich geben sich dort zahlreiche andere unangenehme Persönlichkeiten aus SA und SS ein Stelldichein. Doch dann wird eine Leiche in einem von innen abgeschlossenen Zimmer gefunden, und Bernie muss den Täter finden. Und er muss es schnell tun, denn Heydrich kann einen ungelösten Mordfall nicht auf sich sitzenlassen ...

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.

Kapitel 1


September 1941

Der Gedanke an Selbstmord ist für mich sehr beruhigend. Manchmal ist er das Einzige, was mir durch eine schlaflose Nacht hilft.

In solch einer Nacht – und davon gab es viele – zerlegte ich meist meine Baby Browning und fettete sorgfältig die metallenen Teile der Pistole. Ich hatte zu oft erlebt, was Fehlschläge anrichten konnten, und wusste, wie wichtig eine gut gepflegte Waffe war. Zu viele Selbstmorde gingen daneben, weil eine Kugel in einem zu spitzen Winkel in den Schädel eines Mannes eindrang. Ich entlud sogar die kleine Stiege des Magazins, in der die Kugeln ruhten, und polierte jede einzelne. Dann reihte ich sie wie kleine, tapfere Messingsoldaten vor mir auf und suchte die sauberste und strahlendste aus, die über allen anderen thronen durfte. Ich wollte mir nur mit der besten ein Loch in die Wand meiner Gefängniszelle sprengen, zu der mein Schädel geworden war. Nur sie durfte einen Tunnel in die grauen Windungen aus Verzweiflung graben, zu denen mein Verstand geworden war.

Das alles erklärte vielleicht, warum so viele Selbstmorde bei der Polizei fälschlicherweise als Unfall registriert werden. «Er hat doch nur seine Waffe gereinigt, und dann ging ein Schuss los», sagte die trauernde Witwe.

Natürlich löst sich gern mal ein Schuss, und manchmal tötet die Waffe auch denjenigen, der sie in der Hand hält. Aber zuerst muss man den kalten Lauf gegen seinen Kopf drücken – am besten gegen den Hinterkopf – und den verfluchten Abzug drücken.

Ein paarmal habe ich sogar einige gefaltete Handtücher unter das Kopfkissen auf meinem Bett gelegt und mich mit dem festen Entschluss hingelegt, es jetzt endlich hinter mich zu bringen. Es fließt ziemlich viel Blut aus einem Kopf, selbst wenn das Loch nur ganz klein ist. Ich lag dann da und starrte auf den Abschiedsbrief, den ich auf meinem besten Papier verfasst hatte. Das Papier hatte ich in Paris gekauft. Der Brief lehnte auf dem Kaminsims und war an niemand Bestimmtes adressiert.

Niemand Bestimmtes und ich hatten im Spätsommer 1941 eine ziemlich enge Beziehung.

Nach einer Weile schlief ich dann manchmal ein. Aber die Träume, die ich dann hatte, waren allesamt nicht jugendfrei. Vermutlich waren sie sogar für Conrad Veidt oder Max Schreck unpassend. Einmal wachte ich aus einem so schrecklichen, lebhaften und packenden Traum auf, dass ich tatsächlich meine Pistole abfeuerte. Ich saß kerzengerade im Bett und schoss. Die Uhr in meinem Schlafzimmer – die Wiener Wanduhr aus Walnussholz, die meiner Mutter gehört hatte – war danach nie mehr dieselbe.

In anderen Nächten lag ich da und wartete, bis das graue Licht unter den Kanten der staubigen Vorhänge an Kraft gewann und mich die absolute Leere des neuen Tages begrüßte.

Tapferkeit zählte nichts mehr. Aber ich war auch gar nicht tapfer. Die ständige Befragung meines zerrissenen Ichs schuf kein Bedauern, sondern nur noch mehr Selbsthass. Für alle Außenstehenden war ich immer noch derselbe Mann, der ich schon immer gewesen war: Bernie Gunther, Kriminalkommissar vom Alex. Und doch war ich nur noch ein Schatten meiner selbst. Ein Blender. Ein Knäuel aus Gefühlen mit gefletschten Zähnen und einem Kloß im Hals und einer schrecklich leeren Höhle tief in meinem Bauch.

Aber nach meiner Rückkehr aus der Ukraine war ich nicht der Einzige, der sich anders fühlte. Auch Berlin war anders. Wir befanden uns fast zweitausend Kilometer von der Front entfernt, doch der Krieg lag trotzdem in der Luft. Das hatte nichts mit der britischen Luftwaffe zu tun, die trotz Hermann Görings leeren Versprechungen, dass niemals eine englische Bombe auf die deutsch