Kolonaki heißt Athens kleines Nobelviertel, mitten im Herzen der Stadt. Hier zwischen dem Vassilissis-Sofias-Boulevard und dem Lykabettoshügel erstreckt sich das teure Szeneviertel, in dem sich die Schönen und Reichen, und die, die das noch werden wollen, treffen. Edle Schuhgeschäfte, gepflegte Stadthäuser, teure Boutiquen und schicke Cafés reihen sich aneinander. Geschäftsleute, Politiker, Schauspieler: Die Straßencafés sind überfüllt mit illustren Prominenten. Hier in Kolonaki bin ich mit der berühmten griechischen Schriftstellerin Lena Divani zum Kaffee verabredet. Im Café »Da Capo«. Wo sonst! Es ist DAS In-Café und nur hier treffen sich die wirklich prominenten und reichen Athener.
Das Kaffeetrinken ist essentieller Bestandteil des griechischen Lebens. »Páme ja kafé – Gehen wir einen Kaffee trinken« bedeutet dabei sehr viel mehr, als nur das Trinken eines Getränks. Es ist gleichbedeutend mit dem Erledigen wichtiger geschäftlicher Dinge. Ein soziales Ereignis und zugleich Unterhaltung und Zeitvertreib. Anders gesagt: eine griechische Leidenschaft. Ich behaupte sogar, dass ein normales Leben in Griechenland ohne die Teilnahme an der Kaffeekultur gar nicht möglich ist. Den Mietvertrag für meine erste Athener Wohnung unterschrieb ich beispielsweise beim Kaffee.
Damals, 2003, war ich für einige Wochen zu einem Praktikum im griechischen Gesundheitsministerium in Athen. Ich war froh, leicht und unbürokratisch eine kleine, zentral gelegene Wohnung gefunden zu haben. Und zu meiner Überraschung fuhr mich mein Vermieter nach der Vertragsunterzeichnung auch noch in bester Laune und laut gegen den dichten Verkehr anbrüllend auf seinem Moped durch die Stadt. Ohne Helm versteht sich! Die Griechen legen eben besonderen Wert auf eine offene und allzeit gesprächige Art. Und dabei ist das In-Gesellschaft-Sein – die »Paréa« – stets präsent. Daher gehört das Kaffeetrinken zum griechischen Alltag ebenso selbstverständlich dazu wie Essen und Schlafen.
Der Taxifahrer, den ich nach dem »Da Capo« frage, deutet in Richtung der Platia–Kolonakiou. Die »Platia – der Platz« ist überall in Griechenland ein Zentrum, ein Ort, an dem man sich trifft. In den Dörfern ist sie meistdas kulturelle Zentrum. Hier gibt es das einzige oder gleich mehrere Kafeneions, die typischen griechischen Kaffeehäuser. Sind die echten Dorfkafeneions oft rauchgeschwängerte, karge Räume mit ausschließlich männlichen Gästen, so zeigen sich die modernen Cafés heute oft besonders schick oder extravagant eingerichtet und generationen- und geschlechterübergreifend besucht. Als ich mich vom Taxi bereits auf den Weg zum Kolonaki-Platz mache, ruft mir der Fahrer noch hinterher: »Das ist aber ein verdammt teures Ding!«
Teuer hin, teuer her, wir sind in Griechenland und da darf ein Kaffee in schicker Umgebung auch gerne 5 € oder sogar weit mehr kosten. Man gönnt es sich. Zumindest diejenigen, die es angesichts der wirtschaftlich schwierigen Lage noch können. Zum Kaffee bleibt der Grieche nicht vor der heimischen Filterkaffeemaschine, so er denn überhaupt eine hat, sondern er geht raus, mit Freunden in eines der zahlreichen Kafeneions, in eine der vielen, auch hier wie Pilze aus dem Boden schießenden Schnell-Imbissbuden mit integrierten Kaffeeecken oder in eines der modernen Cafés oder in Bars.
Kaffee ist omnipräsent. Sogar auf den Athener Hauptverkehrsstraßen wird er im Sommer an roten Ampeln verkauft. Dann schwärmen die fliegenden Händler aus, klopfen an die geschlossenen Scheiben der klimatisierten Autos, oder sie reichen ihren Kaffee gleich durch die geöffneten Fenster der Altwagen ohne Klimaanlage in das staubig-schwitzige Wageninnere. In den heißen Sommermonaten ist Kaffee-Frappé ein beliebter Begleiter auf den verstopften Athener Straßen. Der legendäre griechische Eiskaffee aus aufgeschäumtem Instantkaffee ist wegen seines festen Schaums bestens geeignet, während der Autofahrt getrunken zu werden. Es schlabbert nichts! Er wird dabei in verschiedenen Varianten angeboten. »Sketo – ohne Zucker«, »metrio – mittelsüß« und »glykó – süß«. Zusätzlich wählt man, ob er »me gála – mit Milch«, oder »horís gála – ohne Milch«, oder auch »me polí gála – mit viel Milch« serviert werden soll. An der Ampel kostet er meist nicht mehr als einen Euro. Dieser bleibt sicherlich immer unversteuert.
Das »Da Capo« liegt abseits der großen Hauptverkehrsstraßen. Hier in Kolonaki schmeckt der Kaffee edler, er ist allerdings auch ungleich teurer als der Straßen-Frappé. Im »Da Capo« trifft man sich nach dem Einkaufsbummel mit Freunden oder Geschäftspartnern, oder bevor man die Nacht zum Tag macht. Jetzt am Freitagnachmittag platzt das Exklusivcafé aus allen Nähten. Draußen gibt es schon keinen Sitzplatz mehr, ähnlich sieht es im Inneren aus. Viele Damen und Herren, die jüngere und ältere Schickeria, drängen sich in dem kleinen, schmalen und völlig verrauchten Raum. Ganz hinten in einer Ecke entdecke ich an einem kleinen runden Stehtisch Lena, die es sich bereits bei einem Cappuccino und einer Zigarette gemütlich gemacht hat. Freudig begrüßen wir uns in der Enge des Szenecafés.