1 Vom Beamtensohn zum Architekten
Ein Lebenslauf mit dichterischen Freiheiten
Am 29. Februar 1784 – es war ein Schaltjahr – erblickte der älteste Sohn von Gertrud Josefa Theresia und Johannes Friedrich Klenze in Buchladen bei Schladen im Fürstbistum Hildesheim das Licht der Welt; wenige Tage später wurde er auf den Namen Leo getauft. Dies war zumindest seine Annahme, bis er anlässlich seiner Heirat im August 1813 erstmals Einblick in das Taufregister nahm und dabei erfuhr, dass sein Geburtstag eigentlich auf den 28. Februar datierte und sein voller Name Franz Leopold Karl lautete. Für den frisch Vermählten war die unerwartete Offenbarung kein Anlass, sich»wegen einer solchen Kleinigkeit lächerlich zu machen« und vom bisher Gewohnten abzuweichen. Es blieb bei dem Rufnamen Leo, und auch am Schalttag als seinem tatsächlichen Geburtstag hielt Klenze zeitlebens fest.
Dies ist weder die erste noch die einzige Ungenauigkeit in seiner Biografie. In einer bereits 1836 erschienenen, auf direkten Informationen des Architekten basierenden Lebensskizze, in seinen Mitteilungen an Dritte sowie in seinen persönlichen Aufzeichnungen setzte sich die Tendenz fort, Daten zu verändern, unliebsame Einzelheiten zu verschweigen oder Tatsachen in seinem Sinne zurechtzubiegen. Geradezu berüchtigt wegen ihrer höchst subjektiven und oft ungenauen Darstellungsweise sind Klenzes»Memorabilien«. Diese Lebenserinnerungen, bei denen die Jahrzehnte der Zusammenarbeit mit König Ludwig I. von Bayern im Mittelpunkt stehen, füllen in insgesamt sieben Bänden über 1500 Seiten, bleiben aber, gerade was den Werdegang des jungen Architekten bis 1814 anbelangt, oft nebulös und vage – angesichts der unbestrittenen Eloquenz Klenzes ein erstaunliches Phänomen. Kurz, Leo von Klenze ist, was seine Vita betrifft, stets ein unterhaltsamer, nicht unbedingt aber ein sehr zuverlässiger Berichterstatter. Sofern man die einzelnen Stationen seines Lebenswegs oder bestimmte Begebenheiten nicht durch andere Quellen verifizieren kann, tut man gut daran, sich Klenzes Aussagen gegenüber eine grundsätzliche Skepsis zu bewahren.
Leo wuchs gemeinsam mit drei Brüdern und drei Schwestern auf. Zwei Jahre nach seiner Geburt zog die Familie nach Heissum um; der Vater, Johannes Friedrich Klenze, hatte dort ein Gut erworben. Die Familie war ursprünglich protestantisch. Klenzes Großmutter war jedoch konvertiert und sowohl sein Vater als auch er selbst wurden katholisch erzogen, was offenbar aber nicht auf alle seiner Geschwister zutraf. Sein Bruder Clemens August Carl beispielsweise, der spätere Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, bekannte sich zum protestantischen Glauben.
Seine Mutter Gertrud Josefa Theresia, eine geborene Meyer, entstammte einer Arztfamilie. Sein Vater Johannes Friedrich war – wie schon Klenzes Großvater und Urgroßvater – Justiz- und Verwaltungsbeamter und brachte es schließlich bis zum Hof- und Tribunalrat in Halberstadt. Die Familie lebte also in durchaus angesehenen bürgerlichen Verhältnissen. Leo von Klenze selbst berief sich später auf ursprünglich adlige Wurzeln. Er führte diese auf den polnischstämmigen Ritter Christian von Klenzky im 16. Jahrhundert zurück und erklärte, erst nachfolgende Generationen hätten, zur Erwerbstätigkeit gezw