Der schwierige Ort Theresienstadt–
einleitende Bemerkungen
Im böhmischen Paradies, umgeben von lieblicher Landschaft, sanfte Berge im Blick, inmitten der fruchtbaren Ebene an Elbe und Eger liegt eine Fahrstunde nördlich von Prag, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Leitmeritz und Lobositz, Theresienstadt. Die Kreisstadt Leitmeritz heißt seit 1945 wieder Litoměřice wie von 1919 bis 1939, der Nachbarort heißt Lovosice und Theresienstadt ist Terezin. Dem flüchtigen Besucher erschließt sich der Ort nicht. Man sieht ihn erst, wenn man darin ist, so haben es Festungsbaumeister Ende des 18. Jahrhunderts geplant.
Dass die spätbarocke Bastionärsfestung von 1941 bis 1945 als Ghetto für insgesamt 150.000 Juden im Zeichen nationalsozialistischer Rassenideologie und für den Vernichtungswahn deutscher Herrenmenschen genutzt wurde, sieht man dem Städtchen, das die längste Zeit seiner Existenz Garnison war, nicht an. Die benachbarte«Kleine Festung», die schon ab 1940 der Gestapo als Stätte der Verfolgung vor allem politischer Häftlinge diente, zeigt deutlichere Spuren und hat auch deshalb lange das Bild von Theresienstadt dominiert. Die Wahrnehmung wurde beherrscht von der Inanspruchnahme des Ortes durch politische Ideologie im Kalten Krieg, die nur eine Opfergruppe, tschechische Patrioten, zur Kenntnis nahm, am liebsten dann, wenn sie auch noch kommunistische Widerstandskämpfer waren. Juden (und gar Deutsche, die auf dem Weg ihrer Austreibung in Theresienstadt interniert waren) sind erst nach der Wende als Opfer deutscher Politik in Theresienstadt ins Bewusstsein getreten. Und die Leiden der Juden wurden im deutschen Publikum durch die stereotype Vorstellung verklärt, Theresienstadt sei ein bevorzugter Ort für deutsche Juden gewesen, für Prominente, für Künstler und Wissenschaftler. Entsprechend angenehmer als in anderen Orten erzwungenen Aufenthalts sei deshalb das Leben im Ghetto Theresienstadt gewesen, wurde vermutet. Theateraufführungen, Konzerte, Vorträge, Dichterlesungen hätten das Leben beherrscht. Die Wirklichkeit war aber– trotz der kulturellen Aktivitäten– furchtbar und nicht angenehmer als in anderen Lagern unter nationalsozialistischer Herrschaft.
Eine andere, nicht der Realität entsprechende Denkfigur bestimmt bis heute die Vorstellung von Theresienstadt, nämlich die, es sei vor allem Zwangsaufenthalt und Station des Untergangs deutscher (undösterreichischer) Juden gewesen. Dass Theresienstadt längere Zeit der Leidensort tschechischer Juden war und diese unter den hier Internierten die Mehrheit stellten, steht zu dieser Vereinnahmung im Gegensatz. Eine weitere Denkformel hat frühzeitig Raum gegriffen: die Vorstellung einesüberbürokratisierten, korrupten und selbstherrlichen jüdischen Apparats, der maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Menschen im Ghetto gehabt hätte. Das böse Wort von der«Strafhaft in Theresienstadt, verschärft durch jüdische Selbstverwaltung», ist so ungerecht wie wirkungsvoll und nachhaltig.
H. G. Adler, aus Prag stammender jüdischer Intellektueller und Literat, der mit seiner Darstellung«das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft» seit Ende der 1950er Jahre das Bild Theresienstadts prägt, hat diese Vorstellung befördert. Adler, 1910 geboren und in London 1988 als Privatgelehrter gestorben, war Häftling in Theresienstadt und dann in Auschwitz gewesen. Sein Buch ist das bedeutendste historiografische Werküber Theresienstadt. Angelegt als historische, soziologische und psychologische Studie, die ausschließlich wissenschaftlichen Standards verpflichtet ist und persönliches Erleben völlig ausklammert, ist sie aber doch nicht sine ira et studio geschrieben. Das war weder nach Temperament und Charakter des Autors noch der Zeit, wenige Jahre nach dem Holocaust, in der das Buch entstand, möglich und mindert den Wert der Darstellung nicht. Die Tendenz zur moralischen Bewertung der in der«Jüdischen Selbstverwaltung» Verantwortung Tragenden und die Neigung zu entschiedenem Urteilüber Menschen und ihr Tun unter apokalyptischen Bedingungen charakterisiert allerdings Adlers Darstellung. Seither hat es keine neue Monografieüber Theresienstadt gegeben.
Dieses Buch will nicht versuchen, Adlers Werk zu ersetzen. Seit der Wende, die auch in der Tschechoslowakei (bzw. dann in der Tschechischen Republik) Verkrustungen löste und Möglichkeiten der Forschung und des Gedenkens eröffnete, gibt es zahlreiche neue Erkenntnisse en detail, die das Bild Theresienstadts auch insgesamt verändern. Dieses darzustellen ist die Absicht des Buches. Vor allem will es aber den Menschen gerecht werden, die in Theresienstadt litten. Deshalb enthält die Darstellung neben dem durchgängigen Bemühen, die individuellen Dimensionen des Aufenthalts in Theresienstadt zu beschreiben, neun biografische Skizzen, die typische Schicksale, aber auch die Erfahrung Prominenter wie Leo Baeck oder Viktor Ullmann vor Augen führen.
Über die Verortung Theresienstadts in den Systemen der nationalsozialistischen Zwangslager und Haftstätten[1] herrscht– ohne Notwendigkeit– Unsicherheit. War der von den Nationalsozialisten abwechselnd als Prominentenghetto, Alterssitz für jüdische Patrioten und Honoratioren, als Vorzugslager, als«jüdisches Siedlungsgebiet» titulierte Zwangsaufenthalt erst tschechischer, dann deutscher undösterreichischer, schließlich auch holländischer und dänischer Juden in Wirklichkeit ein KZ, dem nur dessenäußere Merkmale fehlten? Die Antwort ist einfach und schwierig zugleich. Theresienstadt war kein KZ, da es nicht der«Inspektion der Konzentrationslager» in Oranienburg bzw. dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt in Berlin unterstellt war. Weder das Ghetto in der Großen Festung ab Ende 1941 noch das«Gestapohaftlager» (oder«Polizeigefängnis») in der Kleinen Festung Theresienstadt, das schon im Juni 1940 eingerichtet worden war, gehörten zum NS-Terrorsystem, das unter der Chiffre KZ eine eigene Welt bildete. Die Kleine Festung wies sogar einigeäußere Kennzeichen eines Konzentrationslagers auf wie die zynische Inschrift«Arbeit macht frei» am Eingang zum ersten Hof. Und die Existenzbedingungen waren im Ghetto ebenso wenig besser wie die Mortalität geringer als sie in einem Konzentrationslager gewesen ist. Aber die Strukturen des Zwangsaufenthalts der Juden in der böhmischen Festung waren nicht die eines Konzentrationslagers.
Formal und nach Befehlshierarchie unterstand die Kleine Festung als«Polizeigefängnis»[2] der Gestapo in Prag und das Ghetto in der Großen Festung war der«Zentralstelle für jüdische Auswanderung» i