: Raphael Gross
: November 1938 Die Katastrophe vor der Katastrophe
: Verlag C.H.Beck
: 9783406654718
: Beck'sche Reihe
: 1
: CHF 8.80
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: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 128
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB/PDF
Am 7.November1938 schoss Herschel Feibel Grynszpan in der deutschen Botschaft in Paris auf den Diplomaten Ernst vom Rath, der seinen Verletzungen kurz darauf erlag. Das Attentat wurde zum Vorwand für eine beispiellose Welle der Gewalt gegen Hunderttausende deutscher Juden vor aller Augen in sämtlichen Teilen des Deutschen Reichs. Nahezu alle Synagogen wurden angezündet, Geschäfte geplündert und zerstört, Männer und Frauen öffentlich gedemütigt und gequält. Über 30.000 jüdische Männer wurden in Konzentrationslager verschleppt. Eine Phase der blanken ökonomischen Erpressung folgte. Mit dieser Zäsur offenbarte sich die Gewaltbereitschaft der Nationalsozialisten. Der ausagierte Antisemitismus beflügelte gleichsam die Phantasie. Zahlreiche hohe Beamte und Funktionäre des NS-Staats schlugen in der Folge weit radikalere Maßnamen vor und wurden zu Mördern, zu Massenmördern. Raphael Gross beschreibt und analysiert die Novemberpogrome anhand vieler zeitgenössischer Stimmen. Ihm gelingt es, Geschichte und Folge des Attentats in einen neuen Kontext zu stellen und durch seinen Blick auf die sich aufbauende Stimmung innerhalb der NS-Führung den inneren Zusammenhang der Pogrome mit dem Holocaust aufzuzeigen.

Raphael Gross, Prof. Dr., leitet das Leo Baeck Institute in London, ist Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main und des Fritz Bauer Instituts. Er ist Herausgeber des Leo Baeck Institute Year Book, hat zahlreiche Veröffentlichungen zur deutsch-jüdischen Geschichte vorgelegt und Novemberpogrom 1938. Die Augenzeugenberichte der Wiener Library mitherausgegeben (Frankfurt a. M. 2008).

Prolog
Novemberpogrome 1938
Das Ende der deutsch-jüdischen Epoche


Das Jahr 1938 war für die noch in Deutschland lebenden Juden katastrophal verlaufen. Der deutsch-jüdische Romanist Victor Klemperer notierte Silvester 1938: «Ich las gestern flüchtig das Tagebuch 1938 durch. Das Résumé von 37 behauptet, der Gipfel der Trostlosigkeit und des Unerträglichen sei erreicht. Und doch enthält das Jahr, mit dem heutigen Zustand verglichen, noch soviel Gutes, soviel (alles ist relativ!) Freiheit.» Denn bis Anfang Dezember 1937 hatte Klemperer noch Zugang zur Bibliothek. Im folgenden Jahr ging es dann immer deutlicher abwärts: «Erst der österreichische Triumph. […] Dann im September die gescheiterte Hoffnung auf den erlösenden Krieg. Und dann eben der entscheidende Schlag. Seit der Grünspanaffaire das Inferno.» Über viele Stufen hinab war Klemperer in die Hölle gelangt: vom «Anschluss» Österreichs an Nazideutschland im März 1938 über das Münchner Abkommen vom 30. September bis zu den Novemberpogromen, der «Reichskristallnacht», für die das Attentat von Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath als Vorwand diente. Und doch befürchtete Klemperer noch Schlimmeres: «Die relative Ruhe der letzten Wochen darf nicht täuschen: in ein paar Monaten sind wir hier zuende – oder die andern. In der letzten Zeit habe ich nun wirklich alles Menschenmögliche versucht, um hier herauszukommen: das Verzeichnis meiner Schriften und meine SOS-Rufe sind überallhin gegangen: nach Lima, nach Jerusalem, nach Sidney, an die Quäker in Livingstone.» Klemperer sitzt Silvester 1938 in der Falle. Tro