II. Warum lebt der Staat auf Pump?
1. Rentabilität und Dringlichkeit
Nachdem wir uns mit einigen praktischen Aspekten zu Entstehung, Messung und Organisation der Staatsverschuldung beschäftigt haben, kommen wir nun zur grundsätzlicheren Frage, warum ein Staat sich überhaupt verschulden darf oder soll. Eine erste Begründung für Staatsverschuldung findet man, wenn man den Staat mit einem privaten Unternehmer vergleicht: Dieser nimmt einen Kredit auf, um eine Investition zu finanzieren, zum Beispiel die Anschaffung einer teuren Maschine. Aus den Erträgen der Investition tilgt er den Kredit und zahlt die Zinsen. Macht er darüber hinaus noch einen Gewinn, so hat sich diese Investition für ihn gerechnet.
Ein ähnliches Kalkül kann auch ein Staat anstellen, wenn er größere Investitionen erwägt, beispielsweise in die Infrastruktur seines Landes: Er nimmt einen Kredit auf, um damit eine Autobahn, ein Stromnetz oder andere Großprojekte zu finanzieren, und mit den Erträgen dieser Investition baut er die dafür aufgenommenen Schulden wieder ab.
Der Staat kann auf diesem Weg Projekte finanzieren, die er ohne Kredite nicht anschieben könnte. Kein Unternehmen hat genügend eigene Mittel, um Großprojekte komplett aus der eigenen Tasche zu finanzieren, und auch einem Staat würde es schwer fallen, alle Investitionen aus den laufenden Einnahmen zu bezahlen. Die Kreditaufnahme ermöglicht eine zeitliche Streckung der Projektkosten und erleichtert dadurch die Investitionstätigkeit des Staates. Insofern sind Kredite, ist die Aufnahme von Staatsschulden immer dann gerechtfertigt, wenn mit diesem Geld investive Projekte finanziert werden, von denen man sich in Zukunft Erträge verspricht.
Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen dem Staat als Investor und einem privaten Unternehmer: Der Unternehmer erhält die Erträge seiner Investition direkt in Form steigender Verkaufszahlen, höherer Umsätze und Gewinne – aber wie sieht das beim Staat aus? Der Staat erwirtschaftet die Erträge seiner Investitionen nicht über steigende Verkäufe, sondern indirekt über höhere Einnahmen vor allem aus Steuern: wenn die schuldenfinanzierten staatlichen Investitionen erfolgreich sind, führen sie zu einem höheren Wachstum der Volkswirtschaft, also zu einem höheren Sozialprodukt, das zu steigenden Steuereinnahmen des Staates führt und ihm die Rückzahlung der Schulden ermöglicht. Solange also die staatlichen Schulden dazu genutzt werden, wachstumsfördernde Investitionen zu finanzieren, sind sie unproblematisch, da sie sich idealerweise aus den Erträgen dieser Investitionen selbst finanzieren.
Darüber hinaus sind Staatsschulden für Investitionen auch mit Blick auf kommende Generationen gerechtfertigt. Schuldenfinanzierte Investitionen werden nämlich jeweils von den Nutzern der Investitionen mitfinanziert – das ist das so genanntePay-as-you-use-Prinzip. Wie muss man sich das vorstellen? Der entscheidende Punkt an allen Investitionen, auch staatlichen, ist, dass sie über mehrere Jahre hinweg genutzt werden können. Die Autobahn, die heute gebaut wird, wird über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg befahren. Wenn sich der Nutzen dieser Autobahn, der Nutzen aller staatlichen Investitionen, über viele Jahre hinweg erstreckt, dann ist es ökonomisch gerechtfertigt, die Kosten dafür über die entsprechende Anzahl an Jahren zu strecken – gemäß ihrer Nutzung. Da auch zukünftige Generationen etwas davon haben werden, ist es auch korrekt, sie über die Zinsen und Rückzahlung der Schulden, die man dafür aufgenommen hat, an der Finanzierung zu beteiligen.
Im konkreten Beispiel der Autobahn bedeutet das Folgendes: Der Staat finanziert eine Autobahn, die sagen wir 30 Jahre genutzt werden kann (danach ist sie durch die Nutzung sozusagen verbraucht, also abgeschrieben), mittels Staatsverschuldung, und diese Schulden werden exakt im Laufe dieser 30 Jahre über Einnahmen, z.B. aus der Mineralölsteuer, zurückgezahlt. Jede Generation von Bürgern, die diese Autobahn im Laufe der 30 Jahre nutzt, zahlt damit ihren Anteil an den Schulden entsprechend ihrer Nutzungsintensität. Die Rückzahlung der Schulden erfolgt parallel zur Nutzung der damit finanzierten Autobahn.
Die Kreditfinanzierung von Investitionen kann auch helfen, Schwellenländern den Weg in die Industrialisierung zu ebnen. Länder, die über wenig Kapital verfügen, können sich die entsprechenden finanziellen Mittel über Kredite aus dem Ausland beschaffen (externe Verschuldung). Das über Schulden im Ausland erworbene Kapital kann im Inland eingesetzt werden, um die wirtschaftliche Infrastruktur auf- und auszubauen sowie andere produktivitätsfördernde Maßnahmen anzustoßen, die zu mehr Wachstum führen. Hat man das ausländische Kapital richtig investiert, so führt die Schuldenfinanzierung zu einem höheren Sozialprodukt, und ein Teil dieser Produktionssteigerung kann anschließend ins Ausland exportiert werden, um auf diesem Weg die Auslandsverschuldung zurückzuzahlen. Auslandsverschuldung zur Finanzierung von Investitionen ist also eine Entwicklungsstrategie – die allerdings nur funktioniert, wenn das au