Zurück zu den Fragen
Ein Vorwort von Martin Meister
Es steckt ein Hauch von Ungewissheit in dem Titel dieses Buches.»Forscherfragen« – das ist doppeldeutig: Sind dies die Fragen der Forscher? Oder sind es jene Fragen, die wir an die Forscher richten. Wer fragt hier wen? So drängt sich an den Anfang dieses Fragen-Buches schon gleich eine Frage.
Doch ist es gar nicht nötig, sie zu entscheiden. Denn tatsächlich soll es um beides gehen, so wie es auch in der Veranstaltungsreihe der Fall ist, die dem Buch zugrunde liegt und die – noch ein wenig irritierender –»Forscher fragen« heißt.
Angesehene Naturwissenschaftler verschiedenster Disziplinen erzählen im KörberForum – Kehrwieder 12, vom Moderator ermuntert, von den aktuellen Fachfragen, die sie sich selber vorlegen. Es sind Fragen nach Details, die man als Laie fürchtet, weil sie oft in sehr technischer Sprache formuliert sind. Darum wird im Bühnengespräch nachgeholfen und möglichst vielesübersetzt.
Und es hilft die Frageform selbst, denn die lenkt aufs Grundsätzliche. Indem die Expertenüber offene Punkte reden stattüber fertiges Wissen; indem sie berichten von den Problemen, die sich ihnen in den Weg stellen und zu denen sie nun nach Lösungen suchen; indem sie die Einwürfe der Saalgäste beantworten, von denen viele Oberstufenschüler sind, geschieht immer wieder das Erstaunliche: Sie verlieren den Jargon, sie werden verständlich.
Gerade für Menschen, die ihr Weltverständnis entwickeln, ist dieser von der Frage herkommende Weg der bessere. Denn er motiviert zum Mitdenken. Zum Mitfiebern sogar. Der Forscher, die Forscherin erscheinen wie der Held in der TV-Serie, der in eine aussichtslose Lage geraten ist und nach einem Kniff sucht, sich daraus zu befreien. Wie bekommt man das Experiment zum Laufen? Wie wird man bloß die unerwünschten Nebeneffekte los? Wo ist der Hebel, mit dem man so viel Energie sparen kann, dass sich das neue Verfahren auch außerhalb der Labors anwenden lässt? Ist der Dreh gefunden, das Problem gelöst, tauchen sofort neue Hürden auf. Doch natürlich wird, wie im Actionfilm, weitergekämpft. Von Frage zu Frage. Und manchmal hilft bei der Antwort auch Kommissar Zufall.
Der Weg, der beim Fragen einsetzt, ist spannend – und er ist der eigentlich erkenntnisleitende, zumal beim Lernen.»Niemand wird bestreiten«, schrieb der Kulturanalytiker Neil Postman,»dass alle Antworten, die einem Schüler gegeben werden, Endprodukte von Fragen sind. Alles was wir wissen, hat seinen Ursprung in Fragen. Man könnte sagen, dass Fragen die eigentlichen intellektuellen Werkzeuge des Menschen sind.«
Zu erleben, wie Forscher diese Werkzeuge gebrauchen, mal mit dem großen Maulschlüssel an Grundsatzfragen herangehen, mal mit der Pinzette an ein Spezialproblem, ist ein Vergnügen, bei dem sich tatsächlich gut lernen lässt. Ein derartiges Erlebnis bereiten auch Monika Rößigers kunstvolle Texte in diesem Buch. Und das, obwohl es um schwere Wissenskaliber geht: um Ungelöstes aus Astronomie, Atomphysik, Biochemie, Energietechnik, Genetik, Geologie oder Pharmazie … In diesen Gebieten wenden sich Wissenschaftler oftmals Fragen zu, die dringlich sind, weil sie große Menschheitsprobleme betreffen. Deswegen staunt man nicht nurüber die Raffinesse der Grundlagenforscher, man achtet die Professionalität der Problemlöser, verfolgt die spannenden Aktionen der Agenten mit der Lizenz zum Forschen.
»Wie lässt sich günstig ein Medikament für Malariakranke gewinnen?«, fragt Peter Seeberger, einer der Protagonisten dieses Buches. Seeberger arbeitet als Chemieprofessor an der Freien Universität Berlin und als Direktor an einem Max-Planck-Institut in Potsdam, und seine Frage ist wahrhaftig ernst: Noch immer infizieren sich mehr als 200 Millionen Menschen jährlich mit dem Erreger des Wechselfiebers, geschätzte eine Million Menschen sterben jedes Jahr in den tropischen Ländern der Erde, vor allem in Afrika und Asien, die meisten davon sind Kinder. Dass es keine Rettung für sie gibt, hat zwei wesentliche Gründe: Ehemals häufig eingesetzte, in westlichen Pharmalabors entwickelte Medikamente sind durch Resistenzen der Erreger unwirksam geworden. Vor allem aber: Die wenigen, noch wirksamen Pharmazeutika sind ausgesprochen teuer und in Armutsländern unbezahlbar.
Das zurzeit am besten wirksame Kombinationspräparat enthält den Wirkstoff Artemisinin aus der PflanzeArtemisia annua. In Deutschland ist diese Spezies aus der Gattung der Beifußkräuter selten. In China dagegen gedeiht sie auf großen Feldern für die Gewinnung des pharmazeutischen Wirkstoffs. Dazu werden allein die winzigen Blüten geerntet und der Stoff extrahiert – er macht ein Prozent der Blütenmasse aus.
Seeberger ist nicht der einzige Forscher, der nach einem günstigen Syntheseverfahren für ein Malariamedikament sucht – und nach einem Unternehmen oder einer Stiftung, die bereit wären, diese Suche zu finanzieren. Was seine Arbeit und die seines jungen Kollegen Lévesque so bemerkenswert macht: Sie setzt bei einem Abfallprodukt der Extraktion an – der Artemisininsäure. Diese besitzt einen zehnfach höheren Anteil an der Pflanze als das pure Artemisinin. Wie lässt sich die Säure in den Wirkstoff umwandeln und die Ausbeute an Artemisinin so verbessern? Das ist, genauer betrachtet, Seebergers Forscherfrage.
Artemisinin ist ein reaktionsfreudiges Molekül, eben darauf beruht seine heilsame