Kein Mensch betritt diese Welt ohne die bange Frage, ob und wie weit er in der Liebe eines anderen Menschen geborgen sein kann. Und solange sich diese Frage nicht beruhigt, wird er es nicht wagen, in die Welt zu treten.
Eugen Drewermann, Theologe
In jedem Leben gibt es Zeiten,in denen alles leichter geht, gibt es Momente von Leichtigkeit und Unbeschwertheit. Die Menschen mögen uns; uns gelingt, was wir uns vornehmen; wir sind gesund und rundherum zufrieden mit uns und der Welt. Wir denken: So könnte es bleiben. Und dann geschieht etwas: Jemand kritisiert uns, wir werden nicht mehr eingeladen, treffen eine falsche Entscheidung, jemand, der uns nahesteht, stirbt– und wir verlieren die innere Balance, deren wir uns doch so sicher schienen. Manchmal passiert auch gar nichts so Gravierendes, wir können es nicht genau benennen, spüren nur, dass unser Gleichgewicht nicht mehr da ist: Wir erleben uns auf einmal als einsam, unsicher, verletzbar und verletzt. Und in solchen Momenten sehnen wir uns umso mehr nach Sicherheit, Geborgenheit und menschlicher Wärme.
Diese Geborgenheit, nach der wir uns im Leben sehnen, haben wir im Mutterleib schon einmal erfahren. Dort war es warm, wir waren geschützt vor zu starken Sinnesreizen. Licht drang nur gedämpft und gleichmäßig zu uns durch, und wir spürten den regelmäßigen Herzschlag unserer Mutter. Selbst wenn wir vielleicht nicht gewollt waren oder unsere Mutter mit widrigen Bedingungen zu kämpfen hatte, haben wir alle, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, diese Art Ur-Geborgenheit erfahren, und zwar allein aufgrund der biologischen Gegebenheiten.
Dann wurden wir in diese Welt hineingeboren. Wir erlebten uns nicht länger in der Mutter, sondern– auf halbbewusster Ebene– von ihr getrennt. Stand unsere erste Zeit unter einem guten Stern, waren wir zum Beispiel von unseren Eltern erwünscht, waren wir willkommen, konnten Mutter und Vater sich liebevoll und einfühlsam um uns kümmern, hatte diese erste Trennung keine traumatischen Folgen für uns. Wir konnten uns auch weiterhin geborgen fühlen, sicher und angenommen. In der Entwicklungspsychologie geht man davon aus, dass ein gewisses Maß an Erfahrungen von Geborgenheit, Sicherheit, Getragensein notwendig ist, damit wir zu bindungsfähigen Menschen werden, damit wir Vertrauen entwickeln können, in andere Menschen und in das Leben selbst. So finden wir als Individuen die Kraft zur Entwicklung.
Wie wichtig diese Erfahrungen sind, hat in den letzten Jahren die Resilienzforschung gezeigt. Sie untersucht, warum manche Menschen mit großen Herausforderungen und traumatischen Erlebnissen, die sie in ihrer Existenz bedrohen, besser umgehen können als andere und selbst an schrecklichen Erfahrungen nicht zerbrechen. Und sie erforscht, welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.
Doch nicht alle Menschen haben das Glück, frühe Geborgenheitserfahrungen machen zu können. Oder manche mussten erleben, dass diese durch spätere Erfahrungen nachhaltig erschüttert und in Frage gestellt worden sind. Andere spüren vielleicht im Alltag immer wieder bedrohliche Momente plötzlicher Unsicherheit und Ungeborgenheit. Denn sosehr wir vielleicht auch geliebt und umsorgt wurden, so gehört zu unserer Entwicklung als Menschen auch dazu, dass wir Trennung erleben.
Schon ganz früh erleben und spüren wir, dass unsere Mutter, unser Vater, unsere wichtigsten Bezugspersonen etwas anderes sind als wir selbst. Dies bringt von Beginn an eine Quelle des Leids, des Abgetrenntseins, des Gefühls der Bedürftigkeit und Unvollkommenheit in unser Leben. Unsere oft lebenslange Suche nach Geborgenheit speist sich aus dem Wunsch, die wunderbaren Erfahrungen erlebter Geborgenheit– Wärme, Sicherheit, Vertrauen– wieder zu erleben und darüber hinausgehend, Trennung zuüberwinden.
Wir leben heute in einer schnelllebigen, konfliktreichen und immer komplizierter scheinenden Welt. Viele Zusammenhänge können wir gar nicht mehr durchschauen. Wir benutzen Mobiltelefone, Computer, Autos und viele Dinge, die wir vielleicht noch handhaben, aber weder wirklich verstehen noch erklären können. Die Anforderungen in Schule und Beruf nehmen zu, ebenso wie Leistungs- und Konkurrenzdruck. Viele Menschen leiden unter Mobbing. Stresserkrankungen, Burnout und Depressionen gehören zu den mittlerweile häufigsten Gründen für Arbeitsunfähigkeit und sind Zivilisationskrankheiten unserer Zeit. Finanzkri