: Oliver Fröhlich
: Professor Zamorra 1019 Khiroc
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783838749099
: Professor Zamorra
: 1
: CHF 1.80
:
: Horror
: German
: 64
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Dylan McMour rang nach Atem. Vergeblich. Er spürte den weichen Teppich im Rücken, das Gewicht des Mannes auf seiner Brust - und den nahenden Tod. Der Kampf hatte ihn ausgelaugt und seine Kräfte erlahmen lassen. Er schlug nach dem Angreifer, zerkratzte ihm das Gesicht, aber das hielt diesen nicht auf. Sein Blick flackerte unstet durch den Raum, glitt über die Zauberutensilien, über rituelle Gegenstände, Pülverchen, magische Kreiden, Kolben, Schalen und Mörser. Alles zu weit weg, um es als Waffe zu benutzen. Hinter dem Turmfenster erhob sich die Sonne zu einem neuen Tag. Einem, den Dylan nicht mehr erleben würde. Das Letzte, was er sah, bevor er in den Abgrund des Todes stürzte, war das Rot und Weiß des Angreifers. Und das Amulett vor dessen Brust, das über Dylans brechendem Blick pendelte ...

Mit einem Schrei auf den Lippen fuhr der Schotte hoch.

Der Eisbeutel, den er sich auf die Stirn gelegt hatte, um diesen elenden Kopfschmerzen Herr zu werden, klapperte zu Boden.

Recht so! Geholfen hatte er schließlich kein bisschen. Der Schädel wummerte heftiger denn je.

Dylan schwang sich herum und setzte sich aufrecht auf die Couch. Den Eisbeutel ließ er liegen. Stattdessen griff er nach dem halb geleerten Whiskyglas auf dem Wohnzimmertisch und kippte sich die bernsteinschimmernde Flüssigkeit in einem Schluck in die Kehle.

Ein vierzig Jahre alter Scotch, weich, vollmundig, mit einer leicht torfigen Note. Viel zu teuer und schade, um ihn sich achtlos hinter die Binde zu kippen.

Sei’s drum.

Dylan schnappte sich die Flasche, die geöffnet auf dem Tisch stand, und goss das Glas noch einmal randvoll.

Als er die Hand zum Mund führte, zitterte sie so stark, dass der Whiskyüber den Glasrand schwappte und ihmüber die Hand floss. Egal.

Er leerte auch dieses Glas, knallte es auf den Tisch und ließ sich stöhnend gegen die Sofalehne sinken.

Endlich ging es ihm etwas besser. Zumindest hatte der Steinbrucharbeiter in seinem Schädel eine kleine Pause eingelegt.

Aus verquollenen Augen schaute er zu dem großen Fernseher an der Wand, auf dem sich ohne Unterlass das Menü einer DVD wiederholte. Sekundenlang ertrug er die nervige Musik, doch als sich sein Kopf wieder meldete und mit einer neuen Schmerzattacke drohte, beugte er sich zum Tisch, wühlte sich durch fettiges Burger-Papier, schnappte die Fernbedienung, warf dabei einen Pizzakarton und eine Schachtel mit chinesischem Essen hinunter und brachte die Glotze zum Verstummen.

Endlich Ruhe.

Dylan starrte zum linken Unterarm, an dem er seit einigen Wochen ein Armband trug. Den Feuerreif, wie Eric Thomson – der frühere Besitzer des magischen Schmuckstücks – es genannt hatte. Das Gegenstück zum Schattenreif am rechten Arm.

Ein Paar, das irgendwie zusammengehörte, auch wenn der Schotte die genauen Hintergründe noch nicht herausgefunden hatte. Er wusste zwar, dass Thomson die Armbänder in einer Höhle gefunden hatte, in der Obhut von untoten Wahyukalla-Indianern. Diese hatten sie zu Lebzeiten als Geschenk der Götter angesehen, das ihnen zu großen Triumphenüber verfeindete Stämme verhalf.

Auch Eric Thomson bekam die Kraft der Armreife zu kosten. Doch er war der Versuchung der Macht erlegen. Er nutzte sie aus – und es kam zu Unfällen, geboren aus Liebe, Verzweiflung und Notwehr. In seinem Wahn redete er sich ein, die Armbänder seien schuld. Deshalb schenkte er eines davon einem Dämonenjäger namens Steigner.

Nur kurz danach wurde ihm bewusst, dass er das nicht hätte tun dürfen. Die Armreife gehörten zusammen. Doch er konnte Steigner nicht mehr finden. Der Verlust trieb Thomson in den Wahnsinn. Aber was er auch unternahm, er fand den Schattenreif nicht.

Dies war erst Dylan McMour vergönnt. Nach Steigners Tod nahm der Schotte das Armband an sich, froh darüber, endlich eine Waffe gegen Dämonen gefunden zu haben. Zu diesem Zeitpunkt ahnte er noch nicht, dass er damit nur die Hälfte eines Paars besaß.

Obwohl er den Schattenreif erst vor etwa zwei Jahren an sich gebracht hatte, trug er ihn nun schon jahrhundertelang. Eine magische Rückkopplung hatte Dylan nämlich achthundert Jahre in die Vergangenheit geschleudert. Um in die Gegenwart zurückzukehren, war ihm nichtsübrig geblieben, als die komplette Zeit zu durchleben. Der Schotte konnte sich an kaum etwas aus der Odyssee durch die Menschheitsgeschichte erinnern, aber er war sich sicher, dass er währenddessen den Schattenreif nicht abgenommen hatte.

Wie sich Dylan eingestehen musste, hatte er sich nach seiner Rückkehr in die Gegenwart verändert. Er war reizbar geworden,