»Gib präzisere Befehle, Herr. Wen sollen wir angreifen?« Gleichzeitig mit Chetoms Frage drückten die Urdämonen schwarz leuchtende Feuerbälle aus ihren Nasenfeldern. Vor ihren Gesichtern schwebten sie frei in der Luft.
Tendyke schauteüber die Ebene zu den mächtigen Wasserfällen aus gelbrot glühender, dampfender Lava, die den gesamten Horizont einnahmen und direkt aus dem giftgrünen Himmel zu stürzen schienen. Sein Blick fraß sich für einen Moment an dem hügelähnlichen Gebilde fest, das sich als tief schwarzer Schattenriss vor den Lavafällen präsentierte. Plump und ungestalt wirkte es, war aber eindeutig das Zentrum der Spinneninvasion.
Zum ersten Mal hatte Tendyke den geheimnisvollen Spinnendämon leibhaftig vor sich.»Greift Melmoth direkt an«, murmelte er.»Macht den Kerl alle. Das dürfte ja wohl kein Problem sein.« Ein ironisch-bitterer Zug legte sich um seine Mundwinkel, als er das sagte. Melmoth gehörte zu den Mächtigen auf Avalon. Und er musste mit gerade mal drei Urdämonen gegen ihn antreten. Mehr hatte Lilith ihm nicht gewährt.
Absichtlich?
Chetom kreischte hoch und schrill. Die anderen Urdämonen fielen mit ein. Die magischen Feuerbälle glühten grell auf. Und setzten sich gleichzeitig in Bewegung. Dicht nebeneinander rasten sieüber das anbrandende Spinnenheer hinweg auf Melmoth zu.
Tendyke schrie unwillkürlich. Die Geschosse erinnerten ihn mit ihren glühenden Schweifen an waagrecht anfliegende Kometen. Ob sie tödlich waren, würde sich jeden Moment herausstellen …
Wieder schrie er. Eine unsichtbare Kraft brachte die Feuerbälle vom Kurs ab. Sie fächerten wie eine sichöffnende Blume auseinander. Und schmierten regelrecht ab. Weit weg von ihrem eigentlichen Ziel schlugen sie an drei verschiedenen Stellen in den Spinnenteppich.
Die magischen Explosionen rissen gewaltige Lücken in das Heer der Spinnen. Zehntausende verglühten in grell leuchtender Glut. Für einen Moment geriet der Vormarsch, der bereits zwei Drittel der Ebene besetzte, ins Stocken. Atemlos beobachtete der Abenteurer. Melmoth erhob sich. Und stand nun wie ein kleiner Berg auf hunderten schmaler Beine. Der Strom der Spinnen, der aus seinem Unterleib floss, verstärkte sich, während Tendyke ein höhnisches Kichern zu hören glaubte. Aber das konnte er sich auch nur einbilden. Gleichzeitig mit dem verstärkten Nachschub fluteten die Spinnen die Lücken wieder zu und rückten weiter vor. Tendyke schätzte, dass die Biester höchstens noch 50 Meter entfernt waren.
»Was ist passiert?«, murmelte er.
»Melmoth ist mächtig genug, unsere Magie von sich abzulenken«, erwiderte Chetom.»Und er scheint unbegrenzt Nachschub produzieren zu können. Wir müssen uns schützen, bis wir wissen, was wir gegen ihn unternehmen können.«
»Nichts, wir hauen ab. Ich hab keine Lust, schon wieder zu sterben.«
»Nein«, erwiderte Chetom böse.»Lilith hat uns befohlen, die Enklave unter allen Umständen zu halten. Das werden wir tun. Solltest du fliehen, werde ich dich umgehend töten. Aber ohne uns kommst du sowieso nicht mehr von hier weg,Herr.« Das letzte Wort klang, als spreche der Urdämon von etwas unendlich Ekligem. Abrupt wandte er sich ab.
»Schon gut.« Tendyke hob die Hände und grinste.»Wenn ich hier verrecke, bin ich bald wieder da. Bei euch wird’s aber so ziemlich endgültig sein.«
Keiner der Drei reagierte auf ihn. Finster klingende Worte flossen aus Chetoms Mund. Er unterstützte die Beschwörung durch verwirrende Muster und Linien, die er mit flinken Krallen in die Luft wob. Rund um den Hügel wuchs eine leicht flirrende magische Kuppel aus dem Boden und schloss Tendyke und seine Mitkämpfer ein.
Der Abenteurer schluckte. Er konnte bereits die flinken, wuselnden Beinchen unterscheiden und sah die scharfen Scheren an den Mäulern der Spinnen; von winzig bis zu solchen, die die Größe einer Faust besaßen, war praktisch alles vertreten. Das eigentlich Dämonische aber waren die kleinen, rot glühenden Augen, die sich als Leiste um die Körpermitte zu ziehen schienen. Der Abenteurer glaubte Hass und absoluten Vernichtungswillen in ihnen wahrzunehmen. Seine Körperhärchen richteten sich unwillkürlich auf.
Dann war die Flut da. Die erste Linie wurde von hinten förmlich in die Energiekuppel gedrückt. Tausende von kleinen Blitzen verursachten ein regelrechtes Wetterleuchten, als die Spinnen, die die Kuppel berührten, vernichtet wurden. Tendyke schloss für einen Moment geblendet die Augen. Als er sie wiederöffnete, bemerkte er, dass Chetom unablässig magische Energie in die Kuppel leitete, um sie stabil zu halten. Das war auch bitter nötig. Welle auf Welle der kleinen Biester brandete an, um bei Berührung mit dem Energiefeld in den Tod zu gehen. Melmoths Absicht war klar. Er würde so lange seine Hilfstruppen opfern, bis die Kuppel entscheidend geschwächt war