: Simon Borner
: Professor Zamorra 1027 Der Schatten der Welt
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783838749624
: Professor Zamorra
: 1
: CHF 1.80
:
: Horror
: German
: 64
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Jenny Moffat rannte um ihr Leben und blindlings ins Dunkel. Tiefer und immer tiefer trieb die Panik sie in den stillgelegten U-Bahn-Tunnel unterhalb von Manhattan. Laut - oh, so entsetzlich laut - klapperten ihre Sohlen auf den hölzernen Bahnschwellen. Röchelnd ging ihr Atem. Wenn sie schluckte, schluckte sie Blut. Kaum ein Knochen in ihrem geschundenen Leib, der nicht schmerzte. Kaum ein Muskel, der nicht längst protestierte. Doch sie durfte nicht anhalten. Wenn sie anhielt, starb sie - so einfach war das. Erschreckend einfach. Denn sie war nicht allein hier unten in der Finsternis. Und was ihr auf den Fersen war, kannte keine Gnade ...

Kapitel 1

Hallo Alltag

Das Blut schmeckte salzig. Die Lippe war aufgeplatzt und sandte pochende Schmerzschübe aus. Amy Williams, weiblicher Officer des New York Police Department, sah den Mann, der sie geschlagen hatte, grimmig an.

»Hab ich mich jetzt klargenug ausgedrückt?«, knurrte er. Die pechschwarze Skimaske dämpfte seine Stimme kaum.

»Glasklar«, sagte Amy leise. Obwohl die Wut in ihr loderte wie ein Waldbrand nach tagelanger Dürre, setzte sie sich wieder auf den Marmorfußboden. Zu den anderen Geiseln.

Skimaske drehte den Kopf, richtete sich wieder an die ganze Gruppe.»Noch mal, damit sich diese Missverständnisse nicht wiederholen: Wer den Helden spielen möchte, stirbt. Wer eine Flucht versucht, stirbt. Wer nicht tut, was wir verlangen, stirbt. Das sind die Regeln, und sie sind vollkommen einfach. Beachten Sie sie, und wir stehen das hier gemeinsam und ohne Schaden durch. Wir sind nicht anIhnen interessiert.«

»S-sondern?«, stammelte Jennings, der Filialleiter, vorsichtig. Er war eine Maus von einem Mann: schlaksig, unauffällig und schwach. Halbglatze, goldene John-Lennon-Brille, Windsorknoten. Sein Gesicht war kreidebleich, seine Stirn schweißnass.

Skimaske richtete den Lauf seines handlichen Maschinengewehrs auf ihn. Die Waffe war schwarz und glänzte im Licht der wenigen Deckenlampen, die noch nicht zerschossen waren.»Sondern«, sagte er – mehr nicht.

Erneutärgerte sich Amy, dass sie ihnen die Handys abgenommen hatten. Was nützte ein Officer ohne Verstärkung? Wusste Police Plaza One, das Hauptquartier der Manhattaner Polizei,überhaupt schon von diesemÜberfall?

Die fünf in Schwarz gekleideten Maskierten waren vor zwanzig Minuten in die edel eingerichteteFederal Bank of New York City eingedrungen. Ihre Bewegungen, die knappen, auf das Nötigste reduziertenÄußerungen und ihre schockierend effiziente Methodik machten deutlich, wie gut sie sich auf diese Art von»Arbeit« verstanden. Binnen Sekunden hatten sie dieÜberwachungskameras zerschossen, die Telefonleitungen gekappt und die zufällig Anwesenden – Bankangestellten wie Bankkunden – in der Mitte des Schalterraumes zusammengetrieben wie Vieh. Dort saß Amy nun, Blut im Gesicht und Wut im Bauch, umgeben von neunzehn leise schluchzenden und zutiefst verängstigten Personen nahezu aller Altersklassen.

Sie hatte versucht, mit den Tätern zu verhandeln. Als Repräsentantin des NYPD war das gewissermaßen ihre Pflicht. Deeskalation und Kooperation, so hießen die magischen Worte in Situationen wie dieser. Amy stammte zwar von City Island – quasi aus der New Yorker Provinz, wo man sich eher um Fahrraddiebe und Falschparker als um Geiselnehmer kümmern musste –, aber auch sie hatte natürlich eine klassische Polizeiausbildung durchlaufen und die»Grundlagen bei Geiselnahmen« nie vergessen.

Doch anstatt eines Gesprächs hatte sie sich einen Schlag mit dem Gewehrlauf eingehandelt. Sie würde eine ganze Weile warten müssen, bis sie es erneut versuchen durfte.

Und sie würde einen Plan B finden. Einen, an dessen Ende ein Kontakt zur Außenwelt stand, verdammt!

Die fünf Unbekannten hatten die zweiflügelige Tür der Bank von innen verschlossen. Der alte Wärter – seinem blutverschmierten Uniformaufdruck nach zu urteilen, hatte er Carl geheißen – lag tot auf dem Marmor, reglose Insel im Meer seines eigenen Blutes. Niemand kam mehr ins Gebäude, niemand aus ihm hinaus. Nicht gegen den Willen der Maskierten.

»Wohin führt der Lift da hinten?«, raunte Amy dem zittrigen Jennings zu. Prompt kassierte sie entsetzte Blicke derjenigen, die um sie herum saßen. Amy verstand die Angst der Menschen, hielt sie aber für falsch. Wer Angst hatte, hatte bereits verloren. Wer Angst hatte, kämpfte nicht.»Jennings«, zischte sie ungeduldig, als der Mäuserich nicht antwortete.»Der Lift.«

Drei der fünf Unbekannten machten sich gerade an dem Ding zu schaffen. Ein schwarzer Kasten aus Edelholz, mannshoch und einer europäischen Telefonzelle nicht ganz unähnlich. Er befand sich an der Rückwand des Schalterraumes, mehrere Meter hinter den Schaltern. Seine Frontseite war offen und führte in eine mit sanftem, gelblichem Licht erhellte Fahrstuhlkabine.

Jennings’ Mundwinkel zuckten. Rote Fle