: Ulrike Siegel
: Ulrike Siegel
: Wolltest du Bäuerin werden? Bauerntöchter im Gespräch mit ihren Müttern
: BLV Buchverlag
: 9783784390444
: 1
: CHF 8.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 208
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ulrike Siegels neues Buch gewährt durch die Ausgangssituation der Gespräche zwischen Müttern und Töchtern einen ungewohnt tiefen und persönlichen Einblick in das Leben der Frauen auf dem Land in der Kriegs- und Nachkriegszeit. So ist das Buch eine unterhaltsame Lektüre und zugleich ein wichtiges zeithistorisches Dokument.Basierend auf ehrlichen, teils mühevollen und immer beeindruckenden Gesprächen, erzählen die Töchter in diesem Band vom Leben ihrer Mütter. Wie haben diese Frauen ihre Kindheit und Jugend auf den Bauernhöfen der Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt? Was hat ihr Leben geprägt und wie blicken sie heute auf ihr Bäuerinnenleben zurück?

Ulrike Siegel, die Herausgeberin der 'Bauerntöchter'-Reihe, wuchs in den 60er und 70er Jahren auf dem elterlichen Bauernhof im Zabergäu auf. Geprägt von dieser Zeit studierte sie nach ihrem Schulabschluss Agrarwissenschaften an der Fachhochschule Nürtingen. Es folgten mehrere Auslandsaufenthalte in Afrika und Indien, doch die Autorin kehrte immer wieder zu ihren Wurzeln zurück. Vor diesem Hintergrund entstand ihr großes Interesse an Lebenswegen und -entwürfen anderer Bauerntöchter.

Darum bin ich eine reiche Frau


Ida Haffert, geb. 1926 in Wadersloh/Nordrhein-Westfalen, wächst mit vier Geschwistern auf und heiratet mit 22 Jahren den Landwirt Antonius Haffert, der einen Hof in der Nachbarschaft bewirtschaftet. Nach dem frühen Tod ihres Mannes führt sie mit den acht Kindern den Betrieb weiter. Heute wird die Landwirtschaft von einem ihrer Söhne betrieben.

Tochter Ingeborg Haffert, geb. 1960, lebt in Aachen und ist Redakteurin beim ARD-Morgenmagazin. Ihre Geschichte „Von strammen Köpfen und dem schönsten Grabstein der Welt“ ist im Bauerntöchterband 2 veröffentlicht.

Meine Mutter ist heute 82 Jahre alt und eine „reiche Frau“: „Ich habe ein erfülltes Leben hinter mir“, sagt sie.

Aufgewachsen in einer Bauernfamilie mit fünf Kindern fährt sie mit Anfang zwanzig auf einem Flachwagen voller Aussteuer vom elterlichen Hof in ihr neues Leben. Von nun an ist sie Bäuerin auf dem nahe gelegenen Hof meines 17 Jahre älteren Vaters. Nachbarskinder werden Eheleute. Meine Eltern ziehen in den gemeinsamen Jahren acht Kinder groß und nicht selten sitzen beim Mittagessen 15 Personen an unserem Tisch: Die Eltern, die Kinder, die Oma, noch unverheiratete Geschwister meines Vaters, Knechte, Hausmädchen und ab und zu auch mal der Postbote. Es ist turbulent bei uns zu Hause, mit allem, was das Leben zu bieten hat: Ernteausfälle, Liebeskummer, Schulprobleme, Todesfälle, Hochzeiten, Geburten und auch revolutionäre technische Errungenschaften sorgen in unserer Familie für Aufregung: der erste Trecker, die erste Melkmaschine, der erste Selbstbinder, das erste Auto.

Mein Vater stirbt mit 67 Jahren an Krebs. Ein Schock für die Familie und eine Riesenaufgabe für meine Mutter. Sie muss die Familie und den 40-Hektar-Betrieb von nun an alleine managen. Ich weiß bis heute nicht, wie sie das geschafft hat, und habe großen Respekt vor dieser Lebensleistung meiner Mutter.

Heute ist sie wohlverdiente Rentnerin, doch hin und wieder ge­schieht es, dass ihr wahres Alter und ihre innere Befindlichkeit nicht recht zueinanderkommen wollen. Bei einer gemeinsamen Rad­tour sagt sie kürzlich zu mir: „Wir fahren so weit, wie DU kommst.“ Und ich bin nicht unsportlich! Heute lebt sie mit meinem Bruder und seiner Familie auf dem Hof. Sie hat sich dort eine eigene kleine Wohnung eingerichtet und wünscht sich noch ein paar ruhige Jahre in vertrauter Umgebung. Ich spüre ein bisschen ihre Angst, auf der Bühne des Lebens nach hinten treten zu müssen. Ein ganzes Leben lang war sie aktiv, lebendig, selbstständig. Sie hat wichtige Entscheidungen getroffen, hat uns Kinder aufwachsen und aus dem Haus gehen sehen, hat viel gearbeitet und erreicht. Es ist nicht leicht, sich aus einem so vollen Leben zurückzuziehen. Den Blick ins eigene Innere zu wenden und dort Frieden mit sich und der Welt zu finden. Ich wünsche ihr von Herzen, dass ihr das gelingt. Es ist zehn Uhr morgens. Wir sitzen gemeinsam an dem Küchentisch, an dem ich schon als Kind gesessen habe. Auf der Eckbank, in der früher meine Schultasche verschwand. Ich hole das Aufnahmegerät, meine Mutter eine Flasche Doppelkorn. Wir trinken uns Mut an. Wenig später stecke ich ihr das kleine Mikrofon an den Blusenkragen. Tonprobe und los geht’s:

„Wenn