: Guillaume Musso
: Ein Engel im Winter Roman
: Piper Verlag
: 9783492962964
: 1
: CHF 8.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nathan Del Amico hat viel erreicht: Aus armen Verhältnissen stammend ist er mit 38 Jahren ein erfolgreicher Wirtschaftsanwalt. Doch glücklich ist er nicht. Seine Frau Mallory hat ihn verlassen, mit ihr auch seine Tochter, und als wäre das nicht genug, verspürt er in letzter Zeit merkwürdige Stiche in seiner Brust. Zwei Wochen vor Weihnachten taucht plötzlich ein geheimnisvoller Arzt bei ihm auf, der Nathan ein beunruhigendes Angebot macht - das Nathans Leben auf dramatische Weise verändern wird ...

Guillaume Musso wurde 1974 in Antibes geboren und kam bereits im Alter von zehn Jahren mit der Literatur in Berührung, als er einen guten Teil der Ferien in der von seiner Mutter geleiteten Stadtbibliothek verbrachte. Da die USA ihn von klein auf faszinierten, verbrachte er mit 19 Jahren mehrere Monate in New York und New Jersey. Er jobbte als Eisverkäufer und lebte in Wohngemeinschaften mit Menschen aus den verschiedensten Ländern. Mit vielen neuen Romanideen kehrte er nach Frankreich zurück. Er studierte Wirtschaftswissenschaften, wurde als Lehrer in den Staatsdienst übernommen und unterrichtete mit großer Leidenschaft. Ein schwerer Autounfall brachte ihn letztendlich zum Schreiben. In 'Ein Engel im Winter' verarbeitet er eine Nahtoderfahrung - und wird über Nacht zum Bestsellerautor. Seine Romane, eine intensive Mischung aus Thriller und Liebesgeschichte, haben ihn weltweit zum Publikumsliebling gemacht. Weltweit wurden mehr als 22 Millionen Bücher des Autors verkauft, er wurde in 38 Sprachen übersetzt.

Kapitel 2

Dann sah ich einen Engel,

der in der Sonne stand.

Offenbarung, 19,17

»Geht es Ihnen gut, Sir?«

Du lieber Himmel, was ist mit mir los?

»Ja, ja… nur eine kleine Schwäche«, erwiderte Nathan und fing sich wieder.»Vermutlich ein bisschenüberarbeitet .«

Goodrich schien das nicht zuüberzeugen.

»Ich bin Arzt. Wenn Sie wollen, untersuche ich Sie, ich tu es gern«, schlug er mit sonorer Stimme vor.

Nathan rang sich ein Lächeln ab.

»Danke, es geht schon.«

»Ehrlich?«

»Seien Sie unbesorgt.«

Ohne darauf zu warten, dass Nathan ihn aufforderte, sich zu setzen, machte Goodrich es sich in einem Ledersessel bequem und betrachtete aufmerksam die Einrichtung des Büros. An den Wänden reihten sich Regale mit alten Büchern, in der Mitte des Raumes befand sich ein imposanter Schreibtisch zwischen einem Konferenztisch aus massivem Nussbaum und einem eleganten kleinen Sofa. Alles wirkte behaglich.

»Also, was erwarten Sie von mir, Dr. Goodrich?«, fragte Nathan nach kurzem Schweigen.

Der Arzt schlug die Beineübereinander und lehnte sich in seinem Sessel zurück, bevor er antwortete:

»Ich erwarte nichts von Ihnen, Nathan… Sie erlauben doch, dass ich Nathan zu Ihnen sage, nicht wahr?«

Sein Ton klang nach einer Feststellung, nicht nach einer Frage.

Der Anwalt ließ sich nicht aus der Fassung bringen:

»Sie haben mich doch aus beruflichen Gründen aufgesucht, nicht wahr? Unsere Kanzlei verteidigt auchÄrzte, die von ihren Patienten verklagt werden …«

»Zum Glück ist das bei mir nicht der Fall«, unterbrach ihn Goodrich.»Wenn ich ein Glas zu viel getrunken habe, lasse ich das Operieren bleiben. Es ist doch peinlich, wenn man das rechte Bein amputiert, obwohl das linke krank ist, oder?«

Nathan zwang sich zu lächeln.

»Was haben Sie dann für ein Problem, Dr. Goodrich?«

»Nun, ich habe ein paar Kilo zu viel, aber …«

». dafür benötigen Sie nicht unbedingt die Dienste eines Anwalts, was Sie mir bestimmt bestätigen werden.«

»Genau.«

Dieser Typ hält mich für einen Idioten.

Eine lähmende Stille breitete sich im Raum aus, obwohl keine große Spannung herrschte. Nathan war nicht leicht zu beeindrucken. Seine berufliche Erfahrung hatte ihn zu einem gefürchteten Gesprächspartner gemacht, und es war schwierig, ihn bei einem Gespräch zu verunsichern.

Er musterte sein Gegenüber aufmerksam. Wo nur hatte er diese hohe, breite Stirn schon mal gesehen, diesen kräftigen Kiefer, diese buschigen, eng zusammenstehenden Augenbrauen? Goodrichs Blick verriet keine Spur von Feindseligkeit, dennoch fühlte sich der Anwalt bedroht.

»Wollen Sie etwas trinken?«, bot er in einem, wie er hoffte, ruhigen Ton an.

»Gern, ein Glas San Pellegrino, wenn es möglich ist.«

»Das wird zu beschaffen sein«, versicherte Nathan, griff nach dem Hörer, um Abby darum zu bitten.

Während er auf sein Mineralwasser wartete, erhob sich Goodrich, trat vor das Regal und studierte nun interessiert die Bücher.

Ja doch, fühl dich ganz wie zu Hause, dachte Nathan gereizt.

Als der Arzt wieder Platz genommen hatte, betrachtete er aufmerksam den Briefbeschwerer– einen Schwan aus Silber –, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag.

»Damit könnte man durchaus einen Menschen töten«, bemerkte er und wog ihn in der Hand.

»Zweifellos«, stimmte Nathan mit gequältem Lächeln zu.

»In den alten keltischen Texten findet man viele Schwäne«, murmelte Goodrich wie zu sich selbst.

»Sie interessieren sich für die keltische Kultur?«

»Die Familie meiner Mutter stammt aus Irland.«

»Die Familie meiner Frau ebenfalls.«

»Sie meinen wohl Ihre Ex-Frau.«

Nathans Blick durchbohrte seinen Gesprächspartner.

»Ashley hat mir erzählt, dass Sie geschieden sind«, erklärte Goodrich seelenruhig und drehte sich auf seinem bequem gepolsterten Sessel.

Das fehlt noch, dass du diesem Kerl dein Leben beichtest.

»In den keltischen Texten«, fuhr Goodrich fort,»nehmen die Wesen aus der anderen Welt häufig die Form eines Schwans an, wenn sie auf die Erde kommen.«

»Sehr poetisch, aber können Sie mir erklären, was .«

In diesem Augenblick kam Abby mit einem Tablett herein, auf dem eine Flasche und zwei große Gläser mit Mineralwasser standen.

Der Arzt legte den Briefbeschwerer zurück und trank sein Glas aus– so langsam als genieße er jeden Tropfen.

»Haben Sie sich verletzt?«, fragte er und deutete auf eine Schramme an der linken Hand des Anwalts.

Dieser zuckte die Achseln.

»Das ist gar nichts: Ich habe beim Joggen ein Drahtgitter gestreift.«

Goodrich stellte sein Glas zurück und schlug einen belehrenden Ton an:

»In dem Augenblick, in dem Sie das sagen, erneuern sich Hunderte Ihrer Hautzellen. Wenn eine Zelle abstirbt, teilt sich eine andere, um sie zu ersetzen: Das ist das Phänomen der Gewebehomöostase.«

»Freut mich zu hören.«

»Gleichzeitig werden jeden Tag viele Neuronen Ihres Gehirns zerstört, und das seit Ihrem zwanzigsten Lebensjahr …«

»Ich denke, das ist das Schicksal aller menschlichen Wesen.«

»Genau, das ständige Pendeln zwischen Schöpfung und Zerstörung.«

Der Typ ist wahnsinnig.

»Warum erzählen Sie mir das?«

»Weil der Todüberall ist. In jedem menschlichen Wesen, in allen Phasen seines Lebens herrscht eine Spannung zwischen zwei widersprüchlichen Kräften: den Kräften des Lebens und denen des Todes.« Nathan erhob sich und deutete auf die Tür des Büros.»Sie erlauben?«

»Bitte sehr.«

Er verließ den Raum und ging zu einem freien Arbeitsplatz im Zimmer der Sekretärinnen. Schnell klickte er sich ins Internet ein und durchforstete die Seiten der New Yorker Krankenhäuser.

Der Mann, der in seinem Büro saß, war kein Betrüger. Es handelte sich weder um einen Prediger noch um einen Geisteskranken, der einer Nervenheilanstalt entflohen war. Er hieß wirklich Garrett Goodrich, war Doktor der onkologischen Chirurgie, ehem