: Mary Elizabeth Braddon
: Das Geheimnis der Lady Audley Ein viktorianischer Krimi
: Dryas Verlag
: 9783941408531
: Baker Street Bibliothek
: 1
: CHF 7.90
:
: Historische Kriminalromane
: German
: 340
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein Londoner Anwalt versucht, den Mord an seinem Freund aufzuklären, doch die wunderschöne Lady Audley will dies mit allen Mitteln verhindern. Ihm wird schnell klar, dass Lady Audley ein dunkles Geheimnis hütet. Um den Mörder seines Freundes finden zu können, muss er es lüften. Ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel beginnt zwischen dem jungen Mann und der mysteriösen Frau. Hochgelobt von den damaligen Kritikern erlebte 'Lady Audley's Secret' bereits im Jahr seines Erscheinens, 1862, einen bis dahin unerreichten Erfolg. Braddons Buch wurde übersetzt, verfilmt und auf die Theaterbühnen der Welt gebracht.

Mary Elisabeth Braddon (1837-1915) gilt als erste viktorianische Bestsellerautorin. Kritiker wie Charles Dickens oder Thomas Hardy nannten ihre Werke 'brillant, geistreich und lebendig'. M. E. Braddon war eine starke Frau, sie ernährte früh ihre gesamte Familie, stand eine Scheidung durch, lebte in skandalös wilder Ehe und schrieb über 80 Romane. Darin thematisierte sie auch gesellschaftlich heikle Themen wie Bigamie, Ehebruch, Abtreibung u.a. Anja Marschall ist Krimiautorin und lebte lange Zeit in London. Als bekennende Anglophile mit Faible für das 19. Jahrhundert machte sie den vergessenen viktorianischen Krimiklassiker mit ihrer Übersetzung und Überarbeitung für das heutige Publikum endlich wieder zugänglich. Im Dryas Verlag erschien von ihr 'Fortunas Schatten' und der Cornwallkrimi 'Das Erbe von Tanston Hall' im Goldfinch Verlag.

1. Kapitel

Da Herrenhaus von Audley Court verbarg sich in einem Tal mit prächtigen alten Bäumen und ­üppigen Weiden. Schritt man durch eine Allee unter Linden entlang, die auf beiden Seiten von hohen Hecken und Wiesen gesäumt war, so stieß man ­unweigerlich auf den Landsitz. Am Ende dieser Allee befanden sich ein alter Torbogen und ein Glockenturm mit einer ­dummen, ver­wirrenden Uhr, die nur einen Zeiger besaß. Dieser sprang von einer Stunde zur ­nächsten und war daher immer ­entweder zu früh oder zu spät. Durch den Torbogen gelangte man in den Park von Audley Court.

Ein gepflegter Rasen breitete sich vor dem Besucher aus. Hier und da lockerten Rhododendren das Bild auf, die an diesem Ort prächtiger als irgendwo sonst in der Grafschaft wuchsen. Zur Rechten lagen die Gemüsegärten, der Fischteich und ein Obstgarten. Dieser wurde von einem ausgetrockneten Graben und einer verfallenen Mauer begrenzt. Die Mauer war über und über mit rankendem Efeu, ­gelbem Steinkraut und dunklem Moos bewachsen. Auf der linken Seite erstreckte sich ein breiter kiesbestreuter Weg, auf dem früher, als das Anwesen noch ein Kloster gewesen war, Nonnen schweigend gewandelt sein mochten. Stattliche Eichen warfen ihre Schatten über eine nahe Mauer, die das Herrenhaus und seine Gärten wie einen Schutzwall umschloss.

Es war ein sehr altes Gebäude, uneinheitlich und verschachtelt. Die Fenster waren mal klein oder groß, ­manche hatten wuchtige steinerne Mittelpfosten und prächtige bunte Scheiben, andere zerbrechliche Gitter, die bei jedem Luftzug klapperten. Doch einige sahen so neu aus, als seien sie erst gestern angebracht worden.

Hinter spitzen Giebeln ragten hier und dort hohe ­Schornsteine auf. Sie sahen aus, als seien sie durch ihr Alter so zerfallen, dass sie zusammenbrechen ­müssten, würde nicht der wuchernde Efeu an ihren Wänden hinauf­kriechen, sie umschließen und stützen.

Der Eingang von Audley Court lag in einem Eckturm des Gebäudes und hatte eine prachtvolle Tür. Sie bestand aus altem Eichenholz und war mit großen Eisennägeln beschlagen. Die Tür war so massiv, dass der schwere Eisenklopfer nur ein gedämpftes Geräusch ­hervorbringen konnte. Und so benutzten ­Besucher in diesen Tagen ­lieber eine laut ­klingelnde ­Glocke, die sich zwischen den Efeuranken neben der Tür befand. Mussten sie doch ­befürchten, dass der Klang des Klopfers niemals das ­riesige Haus durch­dringen könne.

Ein herrlicher alter Landsitz. Es war ein Ort, über den Besucher in Verzückung gerieten und den ­sehnsüchtigen Wunsch verspürten, das unruhige Leben der Stadt ­hinter sich zu lassen, um für immer bleiben zu können. Es war ein Fleck Erde, an dem der Friede sich niedergelassen und seine besänftigende Hand auf jeden Baum und jede Blume gelegt zu haben schien. Er ruhte auf den Teichen und ­stillen Wegen, in den dämmrigen Ecken der alt­modischen Räume und den tiefen Fenstersitzen hinter den ­bunten Glas­scheiben. Ja, sogar auf dem alten, ausgedienten ­Brunnen, der sich, kühl und geschützt wie alles an diesem ehrwürdigen Ort, in einem Gebüsch im Hintergrund des Gartens befand.

Ein herrschaftlicher Wohnsitz, von innen wie von außen. Doch war es auch ein Haus, in dem man sich verirrte, sollte man so unbesonnen sein, sich allein auf den Weg hindurch zu machen. In diesem Haus glich nicht ein Raum dem anderen. So ging jedes Zimmer in einen ­weiteren Raum über, und durch diesen hindurch gelangte man über ­schmale Treppen hinunter zu Türen, die wieder zurückführten in gerade jenen Teil des ­Hauses, von dem man sich am weitesten entfernt glaubte. Ein ­Herrensitz, der niemals von einem gewöhnl