: Kurt Tucholsky
: Westend bis Köpenick
: Bebra Verlag
: 9783839301135
: 1
: CHF 6.20
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: Erzählende Literatur
: German
: 144
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kurt Tucholsky kannte Berlin wie seine Westentasche. Er wurde am 9. Januar 1890 in der Lübecker Straße 13 in Moabit geboren und war mit Unterbrechungen bis zu seiner Emigration ein Berliner. Er erkundete schreibend - manchmal mit Augenzwinkern, manchmal mit wütendem Biss - den Berliner Alltag, die Berliner Provinz, die Berliner Gesellschaft wie die Berliner Lebens verhältnisse. Immer hatte der genaue und spöttische Beobachter Tucholsky das Wesentliche im Blick - und seine Texte lesen sich auch heute noch erstaunlich aktuell. Berlin fasziniert und inspiriert: In der Reihe 'Berliner Orte' nähern sich Autoren mit ihrem ganz eigenen Stil einem Ort, der für sie eine wichtige Rolle spielt. Mal sehr persönlich, mal historisch, aber immer ganz individuell zeigt die Reihe Berlin in einer Vielfältigkeit und Kreativität, die der Stadt in nichts nachsteht. Weitere Titel dieser Reihe als ebook erhältlich: Brauseboys - 'Geschichten aus der Müllerstraße' Knut Elstermann - 'Meine Winsstraße'

Kurt Tucholsky, 1890 in Berlin geboren, studierte Jura und veröffentlichte mit 21 Jahren seinen ersten Artikel im 'Vorwärts'. In den 1920er Jahren gehörte er zu den gefragtesten Berliner Autoren verschiedener Zeitungen wie der linksliberalen 'Weltbühne', deren Leitung er 1927 übernahm, sowie des Berliner Kabaretts. Tucholsky hielt sich seit Ende der 1920er Jahre vorwiegend im Ausland auf und kehrte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht wieder zurück nach Deutschland. 1935 starb er in Göteborg, seinem schwedischen Exil.

Auf dem Potsdamer Platz gackern ja die Hühner


Berlin! Berlin!


Über dieser Stadt ist kein Himmel. Ob überhaupt die Sonne scheint, ist fraglich; man sieht sie jedenfalls nur, wenn sie einen blendet, will man über den Damm gehen. Über das Wetter wird zwar geschimpft, aber es ist kein Wetter in Berlin.

Der Berliner hat keine Zeit. Der Berliner ist meist aus Posen oder Breslau und hat keine Zeit. Er hat immer etwas vor, er telefoniert und verabredet sich, kommt abgehetzt zu einer Verabredung und etwas zu spät – und hat sehr viel zu tun.

In dieser Stadt wird nicht gearbeitet –, hier wird geschuftet. (Auch das Vergnügen ist hier eine Arbeit, zu der man sich vorher in die Hände spuckt, und von dem man etwas haben will.) Der Berliner ist nicht fleißig, er ist immer aufgezogen. Er hat leider ganz vergessen, wozu wir eigentlich auf der Welt sind. Er würde auch noch im Himmel – vorausgesetzt, dass der Berliner in den Himmel kommt – um viere ›was vorhaben‹.

Manchmal sieht man Berlinerinnen auf ihren Balkons sitzen. Die sind an die steinernen Schachteln geklebt, die sie hier Häuser nennen, und da sitzen die Berlinerinnen und haben Pause. Sie sind gerade zwischen zwei Telefongesprächen oder warten auf eine Verabredung oder haben sich – was selten vorkommt – mit irgend etwas verfrüht – da sitzen sie und warten. Und schießen dann plötzlich, wie der Pfeil von der Sehne – zum Telefon – zur nächsten Verabredung.

Diese Stadt zieht mit gefurchter Stirne – sit venia verbo! – ihren Karren im ewig selben Gleis. Und merkt nicht, dass sie ihn im Kreise herumzieht und nicht vom Fleck kommt.

Der Berliner kann sich nicht unterhalten. Manchmal sieht man zwei Leute miteinander sprechen, aber sie unterhalten sich nicht, sondern sie sprechen nur ihre Monologe gegeneinander. Die Berliner können auch nicht zuhören. Sie warten nur ganz gespannt, bis der andere aufgehört hat, zu reden, und dann haken sie ein. Auf diese Weise werden viele berliner Konversationen g