01. KAPITEL
MEIN LEBEN, DIE FREAKSHOW
Fast zwei Jahre später
Während sich den meisten Schülern beim Anblick des Schulgebäudes der Magen augenblicklich umdrehte, zauberte er mir ein kleines Lächeln auf die Lippen. Völlig ausgeschlafen stand ich vor dem dunkelgrauen, dreistöckigen Gebäude, flankiert von zwei meiner besten Freundinnen. Links und rechts von mir trudelten Schüler mit hängenden Schultern und lustlosem Gemurmel ein. Nur hin und wieder strahlten ein paar ihrer Gesichter, als sie aufgeregt über ihre Ferienerlebnisse berichteten.
Heute begann ein neues Schuljahr.
»So eine Scheiße«, fluchte Violet neben mir. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie die Hände vor dem violetten Trägertop verschränkte und die Mundwinkel nach unten verzog.
»Ich glaub, ich hab die Ferien echt versoffen!« Violet hieß eigentlich Samantha, aber aufgrund ihrer gefärbten violetten Haarpracht und ihrer Liebe zu Kleidung in derselben Farbe nannte sie seit der zehnten Klasse niemand mehr bei ihrem eigentlichen Namen.
»Serena will sterben«, stöhnte Serena. Es war ganz normal, dass sie in der dritten Person von sich sprach. Ich wusste nicht, ob sie sich es absichtlich angewöhnt hatte oder ob sie vielleicht unter einem kleinen psychischen Schaden litt. Als sie sich vor drei Jahren mit Violet, Nell und mir anfreundete, hatte sie diese Macke schon.
»Zum Glück ist es das vorletzte Jahr. Sonst würde Serena echt in Erwägung ziehen, von der Schulterrasse zu springen.«
Ich sah zu ihr auf. Sie maß mit ihren eins fünfundsiebzig beinahe einen halben Kopf mehr als ich.
»Also, ich freue mich«, sagte ich und fiel damit wie so oft aus dem Rahmen.
Violet schüttelte den Kopf. »Du bist krank, psychisch krank. Irgendwann benennen sie mal eine Art von Schizophrenie nach dir.«
»Serena stimmt dir zu.« Sie nickte. »Keiner freut sich darauf, bis zu neun Stunden in der Schule zu sitzen und zu lernen, bis auf dich natürlich, Zoey.«
»Aber ganz vernünftig sind wir alle nicht mehr hier oben, oder?« Lächelnd tippte sich Violet an die Stirn. Damit spielte sie wohl auf ihren ausgeprägten empathischen Sinn oder auf ihre Obsessionen zu schräger Musik und nicht minder schrägen Filmen an. Ich zuckte nur mit den Schultern und folgte ihnen in den Strom von unmotivierten Schülern in das Gebäude.
»Dein Lächeln ist wirklich, wirklich unheimlich.« Serena griff in ihre schwarze Umhängetasche, auf der irgendwelche skelettierten Tierchen abgebildet waren, und zog eine zusammenklappbare Bürste mit Handspiegel heraus, um sich ihre blonden Haare zu kämmen. Ein paar dunkelbraune Strähnen lugten unter den hellen Haaren hervor. Immer, wenn Serena nervös wurde, pflegte sie ihre Mähne. Vor einer Mathematikschularbeit konnte man einen Pullover aus den ganzen herausgekämmten Haaren basteln. »Serena könnte gerade kotzen.«
Als ich den vertrauten Geruch der Schule erschnupperte, wurde mir um einiges leichter ums Herz. Die Ferien waren wie immer langweilig gewesen und ich hatte mich richtig danach gesehnt, wieder in dem alten Gebäude zu sitzen und meine Zeit mit etwas Sinnvollem zu verbringen. Außerdem erfreute es meine Eltern nicht gerade, dass ich meine Freizeit mit solch speziellen Freundinnen verbrachte, obwohl alle drei wirklich in Ordnung waren!
Violet und Nell kannte ich schon seit der Volkschule, also schon unglaubliche zehn Jahre lang. Wären die beiden nicht mit einer Kiste Lego zu mir gekommen und hätten mich eine Viertelstunde angebettelt, mit ihnen zu spielen, ich hätte wahrscheinlich heute immer noch keine Freunde. Ich war keine einfache Person, wie meine Freundinnen immer betonten, wenn ich mich wieder über etwas aufregte.
Die Eingangshalle unserer Schule hatte sich nicht verändert: Die gelben Wände waren mit diversen Sprüchen beschmiert oder mit Stickern von Bands beklebt, wobei die meisten natürlich vonYourDarkestDesire stammten. Den weißen Boden verunzierten Hunderte Schuhabdrücke und die Kletterpflanze