: Gustavo Machado
: Unter dem Augusthimmel
: ars vivendi
: 9783869132976
: 1
: CHF 11.40
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Otto wacht, von der Polizei umstellt, mit zahlreichen Verletzungen in einer ihm völlig unbekannten Umgebung auf und kann sich an nichts erinnern. Er wird beschuldigt, zwei Morde begangen zu haben. Im Verhör erzählt er dem ermittelnden Kommissar seine Geschichte. Er berichtet von seinem tristen Leben, von Arbeitslosigkeit und dem verzweifelten Versuch, über einen Kindheitsfreund, der im Staatsdienst ist, an einen Job zu kommen. Als Dozent für Malerei gelangt er an das Centro Popular de Cultura und lernt dort Sophia, eine seiner Schülerinnen, kennen. Obwohl Sophia verheiratet ist, lässt er sich mit ihr ein eine ambivalente und verbotene Beziehung mit verheerenden Folgen entspinnt sich ... 'Unter dem Augusthimmel' zieht den Leser mit einem dynamischen Plot und mysteriösen Geheimnissen in den Bann und beleuchtet nicht zuletzt die brasilianische Polizeiarbeit in all ihren dunklen Facetten.

Gustavo Machado, 1970 in Porto Alegre geboren, besuchte während der härtesten Phase der Militärdiktatur eine strenge katholische Schule. Ende der 80er-Jahre veröffentlichte er erste Kurzgeschichten. Nach dem Abschluss des Journalistikstudiums arbeitete er in der Medienbranche sowie für Regierungsbehörden. Sein erster Roman Unter dem Augusthimmel ist stark vom Film noir beeinflusst und hat seit seinem Erscheinen in Brasilien viel Kritikerlob erfahren.

 

1

Am Anfang war die Feuchtigkeit. Dann Kälte und Gestank, Dunkelheit und mein zerschlagener Körper. Was mir am meisten wehtat, war mein Auge, ein mit feinen Glasscherben gefüllter Tortellino. Wenn mir etwas wehtut, kann ich nicht tot sein, dachte ich. Dann hörte ich weit weg Stimmen. Wortfetzen. Gelächter, einen tropfenden Wasserhahn, jemanden, der hustete, eine Klospülung, eine hämmernde Schreibmaschine, Niesen, Gesundheit, danke. Ich hörte, wie jemand weinte und nach Gott schrie. Schritte von draußen, die näher kamen, näher, noch näher. Ein Schlüssel, der umgedreht wurde, klick, gleißendes Licht, Schritte im Raum.

Jemand setzte sich an mein Bett. Ich hatte Angst, es könnte ein Häftling sein, einer, der versuchen würde mich zu vergewaltigen oder zu töten. Ach ja, jetzt sah ich die Szene mit den beiden Polizisten wieder vor mir, die mir Fragen gestellt hatten, die mich nicht schlafen ließen mit ihren Fragen und noch mehr Fragen auf dem Weg zurück in die Stadt. Der eine furzte die ganze Zeit, und der andere lachteüber die Fürze seines Kollegen und stellte gleich die nächste Frage. Ich erinnerte mich an den Rücksitz eines alten Golfs, eines innen und außen verdreckten Golfs, an die Bonbonpapiere und Pappbecher, dieüber den nackten Boden rollten, auf dem keine Gummimatten lagen, während das Auto die steilen Serpentinen bergab fuhr. Alles klapperte und krachte in diesem Wagen, der alte Motor röchelte. Ich erinnerte mich auch daran, dass mich jemand vor sich hergeschoben und in diese Zelle gebracht hatte, in der ich vorübergehend sitzen und Papiere unterzeichnen musste, einen Haufen Papiere. Unterschreiben Sie hier. Und jetzt hier. Was für ein schreckliches Licht. Und die Schmerzen im Auge.

»Otto?«

Es gelang mir nach drei Versuchen, das gute Auge geöffnet zu halten, aber das helle Licht war das reinste Gift für die Netzhaut meines unverletzten Auges. Der Mann an meinem Bett sah nicht aus wie ein Mithäftling. Er stand auf. Er ging herum, als sei er nach vielen Jahren wieder bei einem Freund zu Besuch und betrachte die Einrichtung ganz genau, um festzustellen, was sich seit dem letzten Besuch verändert hatte.»Klack, klack, klack«, machten seine Schuhe mit den zerkratzten Spitzen,»klack, klack, klack«. Schon nach wenigen Sekunden hatte er sich in ein wildes Tier verwandelt, das in einem Zoo eingesperrt war. Zoos machen michübrigens richtig traurig. Diese neurotischen Wesen mit ihren Bewegungen, die sich immer wiederholen, unterbrochen werden, wieder anfangen, Kreisbewegungen wie bei den Insassen psychiatrischer Anstalten. Einmal habe ich einen Kollegen in der Psychiatrie besucht und…

»Sie sind also Otto. Otto, na gut. Richtig. Otto mit Doppel-t.« Ich schwieg. Ich lauschte diesem»Klack, klack, klack«. Der Mann war klein, gedrungen, ohne Hals. Ein kleiner, stämmiger, halsloser Kerl, der klassische Typ. Als junger Mann musste er muskulös gewesen sein. Er war etwa fünfzig, hatte ein hartes Gesicht, Hängebacken wie ein Hund aus einem Zeichentrickfilm und graues Haar, das sehr kurz geschnitten war und den Schädel an einigen Stellen durchschimmern ließ. Er roch nach Mottenpulver und Zigaretten. Mehr nach Zigaretten als nach Mottenpulver. Vielleicht gehörte das Mottenpulver auch gar nicht zu ihm, sondern vielmehr zu diesem Ort. Aber er roch stark nach Dingen, die lange irgendwo aufbewahrt wurden. Das musste nicht bedeuten, dass er nicht geduscht hatte. Ich weiß das, weil ich Freunde hatte, die selbst dann nach dem Schrank ihres Urgroßvaters rochen, wenn sie gerade aus der Dusche kamen. Es gibt Leute, die diesen Geruch einfach von Natur aus haben, auch wenn sie sich noch so bemühen, gut zu riechen.

»Wissen Sie, wo Sie sind?«, fragte er.

Ich schwieg noch immer.

»Das hier ist das Kommissariat Fünf, Mordkommission«, sagte er, und in seinem Gesicht lag eine Spur Ekel, als er mich so direkt ansah.

»Haben sie Sie hier so zugerichtet? Hat man Ihnen das hier angetan?«

Ich dachte nach und schüttelte den Kopf.

»Sie wurden gestern Nacht festgenommen, oben in den Bergen, und dann gleich verhaftet, nachdem Sie einen Doppelmord gestanden haben. Erinnern Sie sich daran?«

Ich nickte. Bis dahin erinnerte ich mich mehr oder weniger, an ein paar Stücke zumindest, an nicht mehr als zwei oder drei unzusammenhängende Bilder. Es war mir klar, dass da noch wichtige Teile fehlten.

Der Mann streckte mir einen Plastikbecher mit Kaffee aus einer Thermoskanne entgegen, die auf magische Weise unter seinem Arm aufgetaucht war. In meiner Fantasie wurde er zum Zauberer. Tio Tony fiel mir ein, der Magier aus dem Fernsehen meiner Kindheit, und fast musste ich lachen. Aber ich dachte, das würde sich ganz schlecht machen, wenn ich in meiner Lage– in Polizeigewahrsam und aus dem letzten Loch pfeifend– einfach so wegen einer Erinnerung loslachte.

»Können Sie behalten«, sagte er und zeigte auf die Kanne, ohne sie aus der Hand zu geben. Dann setzte er sich wieder an mein Bett.

Ich bedankte mich für den Kaffee und nahm einen Schluck. Er war gar nicht soübel. Meine Zunge fühlte sich ziemlich dick an, sie passte kaum zwischen die Zähne, die sich vervielfacht hatten. Wi