: Tom Rob Smith
: Ohne jeden Zweifel Thriller
: Manhattan
: 9783641091484
: 1
: CHF 4.50
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 400
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der neue Bestseller von einem der brillantesten Spannungsautoren weltweit

Für Daniel ist die Nachricht ein Schock: Seine Mutter, die seit einigen Monaten mit ihrem Mann in Schweden lebt, wurde in die Psychiatrie eingeliefert. Tilde leide unter Verfolgungsangst und Wahnvorstellungen, behauptet Daniels Vater. Doch Tilde selbst, die aus Schweden zu ihrem Sohn nach London flieht, erzählt eine ganz andere Geschichte. Eine von vertuschten Verbrechen in einer eingeschworenen kleinen Gemeinschaft und dem Verschwinden einer jungen Frau in jener abgelegenen Gegend Schwedens. Doch niemand will ihr glauben. Nun ist Daniel ihre letzte Hoffnung. Tilde schildert ihm die Ereignisse der vergangenen Monate, immer in der Angst, dass auch er an ihrem Verstand zweifeln könnte …

Tom Rob Smith wurde 1979 als Sohn einer schwedischen Mutter und eines englischen Vaters in London geboren, wo er auch heute noch lebt. Er studierte in Cambridge und Italien und arbeitete anschließend als Drehbuchautor. Mit seinem Debüt »Kind 44« gelang Tom Rob Smith auf Anhieb ein internationaler Bestseller. Der in der Stalin-Ära angesiedelte Thriller basiert auf dem wahren Fall des Serienkillers Andrej Chikatilo und wurde u. a. mit dem »Steel Dagger« ausgezeichnet, für den »Man Booker Prize« nominiert und bisher in dreißig Sprachen übersetzt. Nach »Kind 44« und »Kolyma« schloss der Autor seine Trilogie um den Geheimdienstoffizier Leo Demidow mit dem Roman „Agent 6“ ab.

BIS ZU DEM ANRUFwar es ein ganz normaler Tag gewesen. Ich ging mit Einkäufen beladen zu meiner Wohnung gleich südlich der Themse in Bermondsey. Es war ein drückend heißer Augustabend, und als das Handy klingelte, überlegte ich, es einfach zu ignorieren, weil ich nur noch nach Hause und duschen wollte. Aber meine Neugier war stärker, also ging ich langsamer, zog das Handy aus der Tasche und hielt es mir ans Ohr. Schweiß perlte auf das Display. Es war mein Vater. Vor Kurzem erst war er nach Schweden gezogen, und der Anruf war ungewöhnlich – er benutzte sein Handy ohnehin nur selten, und ein Anruf nach London war teuer. Mein Vater weinte. Ich blieb wie angewurzelt stehen und ließ die Einkaufstüte fallen. Ich hatte ihn noch nie weinen gehört. Meine Eltern hatten sich nie vor mir gestritten oder waren wegen irgendwas aus der Haut gefahren. Bei uns hatte es keine bösen Streits oder tränenreichen Szenen gegeben. Ich sagte:

»Dad?«

»Deine Mutter … Es geht ihr nicht gut.«

»Ist sie krank?«

»Es ist so traurig.«

»Traurig, weil sie krank ist? Wie krank? Was hat sie denn?«

Dad weinte immer noch. Ich konnte nur stumm warten, bis er erklärte: »Sie bildet sich Dinge ein – wirklich schlimme Dinge.«

Es war so seltsam und kam so unerwartet, dass sie ein psychisches Problem haben sollte, dass ich mich erst einmal hinhocken und mit einer Hand auf dem warmen, rissigen Gehweg abstützen musste. Aus der heruntergeknallten Einkaufstüte sickerte Tomatensoße auf den Beton. Nach einem Moment fragte ich:

»Wie lange schon?«

»Den ganzen Sommer über.«

Seit Monaten, und ich hatte nichts davon gewusst – ich hatte ahnungslos hier in London gesessen, während mein Dad mir nach alter Tradition alles verschwieg. Er erriet meine Gedanken und fügte hinzu:

»Ich war sicher, ich könnte ihr helfen. Vielleicht habe ich zu lange gewartet, aber die Symptome haben sich erst nach und nach gezeigt – am Anfang war sie nur etwas überreizt und hat manchmal komische Dinge gesagt, aber so sind wir alle mal. Dann folgten Anschuldigungen. Sie behauptet, sie hätte Beweise, sie redet von Indizien und Verdächtigen, aber das sind alles Lügen und Unsinn.«

Dad hatte aufgehört zu weinen, er sprach lauter, nachdrücklicher, als müsse er sich verteidigen. Er stockte nicht mehr, und in seiner Stimme lag mehr als nur Traurigkeit.

»Ich habe gehofft, es würde vorbeigehen, sie müsste sich vielleicht nur an das Leben in Schweden und auf einem Bauernhof gewöhnen. Aber es wurde immer schlimmer. Und jetzt …«

Meine Eltern gehörten einer Generation an, die nur bei Verletzungen zum Arzt ging, die man mit eigenen Augen sehen oder mit dem Finger ertasten konnte. Einen Fremden mit intimen Details aus ihrem Leben zu belasten war unvorstellbar.

»Dad, sie war doch hoffentlich beim Arzt?«

»Er glaubt, sie würde an einer akuten Psychose leiden. Daniel …«

Mum und Dad waren die einzigen Menschen, die meinen Namen nicht zu Dan abkürzten.

»Deine Mum ist im Krankenhaus. Ich musste sie einweisen lassen.«

Als ich das hörte, öffnete ich den Mund, um etwas zu sagen, aber ich hatte keine Ahnung, was, und am Ende blieb ich stumm.

»Daniel?«

»Ja?«