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Ich bete wegen der Sportstunde zum heiligen Sebastian und danke Gott, dass ich nicht nach dem Schutzpatron gegen Schlangenbisse benannt wurde
Ich blickte zu dem mir wohlvertrauten Jungen auf. Ein goldener Schein umstrahlte seinen gut aussehenden, athletischen und von Pfeilen durchbohrten Körper.
Armer Sebastian, dachte ich. Hoffentlich tut es nicht allzu weh.
Der Heilige sah mich durchdringend an. Sein Blick durchbohrte mich wie ein weiterer Pfeil, der auf mich gerichtet war.
Ich schloss die Augen, doch das Bild verschwand nicht. Kein Wunder. Das Bildnis des heiligen Sebastians hing in unserem Wohnzimmer, seit ich denken konnte. Direkt neben dem altmodischen Plattenspieler, den meine Mutter immer anstellte, wenn sie sämtliche Heiligenbilder und -figuren abstaubte, und so den Männern und Frauen, die über uns wachten, täglich ihre Ehre erwies. Wenn ich manchmal von der Schule nach Hause kam, hörte ich schon von Weitem, wie Mom mit ihrem hartnäckigen italienischen Akzent »That’s amore« oder »Volare« schmetterte. Ich hütete mich, Freunde mit nach Hause zu bringen, wenn in der Wohnung Musik lief, weil sie meine Mutter sonst bestimmt für verrückt halten würden. Sie ist wirklich sehr speziell, meine Mutter.
Aber eigentlich sind alle Katholiken ein bisschen seltsam. Und die italienischen ganz besonders.
Ich machte die Augen wieder auf und überflog die Zeilen, die ich in mein Heiligentagebuch geschrieben hatte.
Lieber heiliger Sebastian und Schutzpatron der Sportler,
bitte hilf mir, dass ich mich morgen in Sport beim Fußballspielen nicht blamiere, auch wenn ich nicht besonders schnell bin, den Ball ab und zu in die falsche Richtung schieße und manchmal vergesse, bei welcher Mannschaft ich mitspiele. Ich verspreche auch, dass ich mich dieses Mal nicht aufs Spielfeld setzen werde, wenn ich in der Abwehr spielen muss und mich langweile. Am liebsten würde ich natürlich ein bisschen so wie unser Fußballstar Hilary spielen (auch wenn sie nach dem Schutzpatron gegen Schlangenbisse benannt ist). Aber wenn ich schon nicht so gut wie Hilary sein kann, wünsche ich mir wenigstens, dass ich nicht als Letzte in die Mannschaft gewählt werde. Und bitte denk auch an Mrs Bevalaqua. Es wäre wirklich toll, wenn ihre Arthritis besser würde, damit sie wieder gehen kann.
Lieber heiliger Sebastian, ich danke dir für deine Hilfe!
Ich zündete die heruntergebrannte Stumpenkerze neben sexy Sebastian an und warf ihm einen sehnsüchtigen Blick zu, als könnte ich ihn dazu bewegen, aus dem Bildnis herauszutreten. Doch genau in diesem Moment wurde meine traute Zweisamkeit mit dem halb nackten, heiligen Schmachtobjekt jäh zerstört.
»Zeit fürs Bett, Antonia!«, ermahnte mich Mom aus der Küche.
»Ichbete«, rief ich mit meiner besten ›Bitte stör mich nicht bei meiner Gebetszeit‹-Stimme zurück. Wenn es überhaupt den Hauch einer Chance gab, bei meiner rigorosen Mutter noch etwas Zeit herauszuschinden, dann mit Frömmigkeit.
»Na schön, noch fünf Minuten!«
Ich wollte gerade das Tagebuch zuklappen, als ich feststellte, dass sich die obere Ecke meines Antonius-Heiligenbildchens ablöste. Behutsam, beinahe zärtlich, strich ich über den Rand der Karte, als wäre es die Wange von Andy Rotellini, in den ich mich kurz vor der neunten Klasse verliebt hatte. Ein kleiner Knick verunstaltete den nachtblauen Himmel, der Antonius’ Haupt mit dem goldg