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Er schloss die Tür seines Arbeitszimmers hinter sich ab, obwohl er allein im Haus war und in den nächsten Stunden weder seine Frau noch Tochter zurückerwartete. Der Stick hatte in der Post gelegen – in einer unschuldig anmutenden Werbebroschüre, die an ihn persönlich adressiert war, genau wie beim ersten Mal. Oliver fuhr seinen Laptop hoch und steckte den USB-Stick ein. Er benötigte drei Versuche, weil seine Hände unkontrolliert zitterten. Auch das Prozedere war identisch – der Zugriff auf die Daten war erst möglich, als er das Passwort eingegeben hatte, auf das er von einem anonymen Anrufer wenige Minuten zuvor mit blechener Stimme hingewiesen worden war. »Den Namen deiner Liebsten und das aktuelle Datum.«
Oliver öffnete die erste der drei Videodateien. Sein Herz schlug mit scharfer Wucht gegen die Rippen, und er presste die Hände vor den Mund, während die erste Szene aufflackerte: Wieder saß sie auf einem hohen Lehnstuhl und war von drei vermummten, schwarz gekleideten Männern umgeben. Diesmal hielt ihr niemand eine Pistole an den Kopf. Sie war zwar blass, aber ihr Gesicht wies keine Blutflecken auf. Oliver atmete laut aus. Einer der drei Männer löste sich nach wenigen Augenblicken aus der Gruppe und trat näher an die Kamera. Durch zwei schmale Schlitze schien er Oliver direkt anzusehen. Er nickte langsam und hob eine Hand, Daumen und Zeigefinger bildeten einen Ring, den er mit entschlossener Geste hochhielt. Gut gemacht, sollte das wohl bedeuten. Wieder ein Nicken. Alles ist in Ordnung, übersetzte Oliver, und Erleichterung durchflutete ihn für einen langen köstlichen Augenblick.
Der Vermummte bückte sich, hob einen Zettel auf und hielt ihn Oliver entgegen: »Kein Wort zu niemandem. Zerstör den Stick und alle Spuren. Du hörst wieder von uns. Bete für das Kind, dann betest du auch für sie.«
Ein letzter Schwenk erfasste Caroline, die mit unbewegter Miene in die Kamera starrte. Dann wurde das Bild schwarz.
Die beiden anderen Videodateien enthielten trügerisch harmlose Szenen: Olivers Frau Marie auf dem Weg in die Uni, während einer Vorlesung, in der Cafeteria, Töchterchen Amelie auf dem Spielplatz inmitten ihrer Kindergartengruppe, beim Eisessen, während einer Hafenrundfahrt anlässlich einer Geburtstagsfeier – fröhliches Kindergeschrei, im Hintergrund die Köhlbrandbrücke. Und er selbst beim Joggen im Kollegenkreis am Elbufer in Blankenese.
Oliver spürte, wie Übelkeit in ihm aufstieg. »Scheiße«, murmelte er leise. »Scheiße.« Mit fahrigen Händen löschte er die Dateien vom Laptop, den Speicherstick stopfte er später zwischen Kaffeefilter und Essensresten in den Müll. Bis Marie und Amelie nach Hause kamen, blieben ihm einige Stunden – Zeit, die Fassung wiederzugewinnen, Zeit zum Beten.
Carolines Kollegin in der ärztlichen Zentralbibliothek am Universitätsklinikum Eppendorf hieß Annette Pape und war am Telefon sofort bereit gewesen, sich Zeit für ein Gespräch mit Hannah zu nehmen. In der Akte wurde darauf hingewiesen, dass Frau Pape auskunftsfreudig war und mehr zu Caroline zu sagen wusste als andere Mitarbeiter.
Nach einer längeren Mittagspause, die Hannah genutzt hatte, um sich mit einem Imbiss zu versorgen und bei einem Alsterspaziergang die Füße zu vertreten, was Kotti sehr gefreut hatte, war sie in die Klinik gefahren und wartete nun im vierten Stock der Bibliothek in einem der Gruppenarbeitsräume auf die Bibliothekarin. Den Hund hatte sie im Auto zurücklassen müssen – wegen der Wärme mit heruntergelassenen Fensterscheiben. Sie hoffte, dass niemand auf die Idee kam, den zierlichen Kotti mit den sanften Augen zu unterschätzen. Ihr Gefährte konnte sich, wenn es sein musste, innerhalb von Sekundenbruchteilen in eine zähnefletschende Furie verwandeln – zum Beispiel, wenn sich ein Unbefugter Zugang zum Wagen verschaffen wollte. In Berlin war das bereits einige Male passiert.
Hannah blickte hoch, als sich die Tür öffnete. Eine höchstens eins fünfzig große und schwer übergewichtige Frau um die dreißig betrat den Raum mit angesichts ihrer Proportionen auffallend schwungvollen Schritten. Sie balancierte ein Tablett mit zwei Tassen und lächelte Hannah entgegen. »Ich war so frei,