: Tzvetan Todorov
: Einführung in die fantastische Literatur
: Verlag Klaus Wagenbach
: 9783803141309
: 1
: CHF 7.90
:
: Sprach- und Literaturwissenschaft
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Im Kanon der Weltliteratur hat die Fantastik einen singulären Ort. Vor allem im 19. Jahrhundert eröffnete sie buchstäblich fantastische literarische Spielräume. Die bis heute maßgebliche Einführung von Tzvetan Todorov bleibt für das Verständnis dieser Gattung ein unverzichtbares Standardwerk. Ist die Figur im Roman schlicht wahnsinnig oder betrunken, sieht sie vielleicht Gespenster, Traumbilder, Halluzinationen? Oder geschieht da tatsächlich etwas Unwahrscheinliches, etwas Unheimliches? Nach Tzvetan Todorov ist diese Unschlüssigkeit des Lesers ein wesentliches Merkmal der Wirkungsweise fantastischer Literatur. Anhand zahlreicher Beispiele von E. T. A. Hoffmann über Nikolai Gogol und Théophile Gautier bis zu Edgar Allan Poe zeigt er in seiner Studie, auf welche Weise fantastische Texte diese Verunsicherung hervorrufen und inwiefern sie im Rückgriff auf Übernatürliches gesellschaftliche Tabus brechen und die Zensur umgehen konnten. Todorov nimmt Einflüsse der russischen Formalisten auf und verarbeitet auch Ergebnisse der strukturalistischen Untersuchungen seines Lehrers Roland Barthes. Sein Buch ist der - durchaus kontrovers diskutierte - Ausgangspunkt fast aller seither unternommenen Bestimmungsversuche des Fantastischen.

Tzvetan Todorov wurde 1939 in Sofia geboren. Mit 23 Jahren ging er nach Paris, wo er heute lebt. Gastprofessor an zahlreichen Universitäten, so an der New York University, der Columbia University, der Harvard University, der Yale University und der University of California, Berkeley, erhielt er viele Preise und Auszeichnungen, ist Mitglied der American Philosophical Society und der American Academy of Arts and Letters sowie Offizier der französischen Ehrenlegion.

Definition des Fantastischen


Erste Definition des Fantastischen. – Bisherige Anschauungen. – Das Fantastische inDie Handschrift von Saragossa. – Zweite, ausführlichere und präzisere Definition des Fantastischen. – Zurückweisung anderer Definitionen. – Ein eigenartiges Beispiel des Fantastischen: NervalsAurélia.

Alvares, die Hauptperson in CazottesLe Diable amoureux, lebt seit Monaten mit einem Wesen weiblichen Geschlechts zusammen, das er für einen bösen Geist hält: für den Teufel oder einen seiner Diener. Die Art, wie dieses Wesen erschienen ist, weist deutlich darauf hin, daß es ein Vertreter der anderen Welt ist. Sein spezifisch menschliches (mehr noch, weibliches) Betragen jedoch, die realen Verletzungen, die ihm zugefügt werden, scheinen im Gegenteil zu beweisen, daß es sich schlicht um eine Frau handelt, und zwar um eine liebende Frau. Als Alvares Biondetta fragt, woher sie komme, antwortet sie: »Ich bin ursprünglich eine Sylphide, und zwar eine der ansehnlichsten« (p. 53). Aber gibt es denn Sylphiden? »Ich begriff nichts von dem, was ich hörte«, fährt Alvares fort. »Aber was war denn überhaupt Begreifliches in meinem Abenteuer? Es kommt mir alles wie ein Traum vor, sprach ich zu mir, jedoch was ist das ganze menschliche Leben anderes als ein Traum? Ich träume nur ungewöhnlicher als ein anderer, das ist alles. Wo ist das Mögliche, wo das Unmögliche?« (p. 55).

So ist Alvares unschlüssig, fragt sich (und der Leser mit ihm), ob das wahr sei, was ihm geschieht, ob, was ihn umgibt, tatsächlich Realität sei (die Sylphiden also wirklich existieren) oder ob es sich einfach um ei