Crocodile Roll
«Komm sofort zurück!» Die Stimme meines Gefährten war ein schneidender Alarmruf. «Zurück! Sofort! Bist du lebensmüde?»
Zwischen hohen Schilfhalmen stand ich am Ufer des Victoria River und schaute über die träge braune Wasserfläche, die kaum zu fließen schien. Neugierig war ich einem schmalen Trampelpfad von der Straße zum Fluss hinab gefolgt und hatte alle Warnungen vergessen, die Paul mir einbläute, seit wir einen gewissen Breitengrad im Norden überschritten hatten. Den Breitengrad der Salzwasserkrokodile.
Ausführlich hatte er mir die Gefährlichkeit dieser Urweltmonster geschildert, ihre trügerische Bewegungslosigkeit, die innerhalb von Zehntelsekunden in einem Blitzangriff explodieren kann. Fünf, sechs Meter lang könnten diesalties werden und gewaltige Kräfte entwickeln. Niemals würden sie ein Opfer wieder freigeben, nachdem sie es einmal zu fassen bekommen hatten. Geradezu genüsslich hatte er beschrieben, was geschah, wenn das Maul zuschnappte.
«Die fressen dich nicht sofort. Sie ziehen dich unter Wasser und rollen sich mit dir herum, bis du ertrunken bist. Dann verstauen sie dich in einer ihrer Vorratskammern unter Wurzeln und warten, bis du schön mürbe geworden bist.»
Auf der Fahrt hatte er mir das lustige Lied des australischen Countrysängers John Williamson über diese gar nicht lustige Mordmethode vorgespielt. «Crocodile Roll» hieß es, und wir hatten laut mitgesungen.
Rückwärts gehend entfernte ich mich vom Flussufer, fluchtbereit, mit klopfendem Herzen, das schlammige Wasser nicht aus den Augen lassend.
Nichts geschah, kein aufgerissener, zahnbewehrter Rachen verfolgte mich. Paul lehnte an unserem etwas klapprigen Hilux und sah mir düster entgegen.
«Folge hier im Norden nie einem Pfad ans Wasser», sagte er. «Vielleicht kommen Tiere regelmäßig an den Fluss, um zu trinken. Krokodile beobachten das und warten. Sie sind verdammt geduldig, und es ist ihnen völlig egal, ob sie ein Känguru, ein Kalb oder einen Touristen erwischen.»
«Ich hab’s kapiert.»
Es ist nicht angenehm, als Greenhorn dazustehen, aber in Australien hört man besser auf einen Einheimischen – selbst wenn man mit ihm verheiratet ist. Denn der Fünfte Kontinent ist samt seiner phantastischen Landschaften, roten Wüsten, geheimnisvollen Felsformationen, endlosen wilden Küsten, seinen Traumstränden, Regenwäldern und Korallenriffen kein schlichter Ableger südlicher europäischer Länder, in dem man sich bewegen könnte wie an den Stränden des Mittelmeers. Der Sehnsuchtsort Australien ist ein Kontinent, auf dessen roter Erde der Mensch sich achtsam bewegen sollte. Wachsam und mit sehr lebendigen Sinnen.
Wer nicht bereit ist, sich mit den Überlebensregeln im Outback zu befassen, sollte lieber in den Städten bleiben, die Weine im Barossa Valley probieren oder sich an der Goldcoast fühlen wie an der Costa Brava. Dort also, wo die Natur einigermaßen gezähmt wurde. Doch selbst die Millionenstadt Sydney beherbergt ein Wesen namens Trichterspinne, das mitunter tödlich sein kann, obwohl Menschen eigentlich nicht zu seinen Beutetieren gehören. Auch am berühmten Bondi Beach kommen ab und zu Haie vorbei, in letzter Zeit immer häufiger. Tröstlicherweise werden trotz allem aber auch in Australien mehr Menschen von Autos überfahren als von Spinnen, Schlangen oder Haien umgebracht – und es ertrinken auch mehr.
Das Land ist voll von absurden Geschichten, die in den Trinkhallen der