: Jack London
: Wolfsblut Roman
: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
: 9783423417976
: 1
: CHF 8.80
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Jack Londons Klassiker Wolfsblut, eine Mischung aus Wolf und Hund, muss in der Wildnis einen unerbittlichen Kampf gegen Hunger und Gefahr führen. Als er von Menschen gefangen wird, droht ihm ein grausames Schicksal. Erst durch einen jungen Goldgräber erfährt er Freundlichkeit und Güte. Jack Londons 1906 erschienener Abenteuerroman gilt als eines seiner besten Werke. Die wilde Natur und das Schicksal von Wolfsblut werden ebenso beschrieben wie eine gelungene Beziehung zwischen Mensch und Tier, die stärker ist als jeder Instinkt. 

Jack London (eigentlich John Griffith Chaney) wurde am 12. Januar 1876 als uneheliches Kind in San Francisco geboren. Er wuchs in Armut auf und musste bereits früh zum Einkommen der Familie beitragen. Nach einer Zeit, in der er sich als Fabrikarbeiter, Robbenjäger und Landstreicher durchschlug, holte er das Abitur nach und begann 1896 ein Studium, das er jedoch schon nach einem Semester abbrach. Er ließ sich vom Goldrausch anstecken und schürfte in Alaska selbst nach dem Edelmetall. Zurück in Kalifornien stellten sich mit seinen Tiergeschichten und Erzählungen über das harte Leben einfacher Menschen der Arbeiterklasse erste literarische Erfolge ein. In kurzer Zeit wurde London sehr wohlhabend. Seine plötzliche Popularität überforderte ihn jedoch. Alkohol und ein extravaganter Lebensstil führten den Schriftsteller in den Ruin. Jack London starb am 22. November 1916 im Alter von nur 40 Jahren auf seiner Farm in Glen Ellen an Nierenversagen.  

ZWEITER TEIL

In der Wildnis geboren


1 Kampf der Reißzähne


Es war die Wölfin gewesen, die den Klang der menschlichen Stimmen und das Winseln der Schlittenhunde zuerst gehört hatte; und die Wölfin war auch die Erste gewesen, die abgelassen hatte von dem eingekreisten Mann in den sterbenden Flammen. Das Rudel war nicht zufrieden damit, die Beute aufzugeben, die es fast schon zur Strecke gebracht hatte; es verharrte noch ein paar Minuten und vergewisserte sich der Geräusche, ehe es der Spur folgte, die hinter der Wölfin zurückblieb.

Ein großer, grauer Wolf lief an der Spitze des Rudels  – einer von mehreren Anführern. Er war es, der den Weg des Rudels auf die Spur der Wölfin führte, und er war es auch, der die jüngeren Tiere des Rudels warnend anknurrte oder mit seinen Zähnen nach ihnen schnappte, wenn sie ihn ehrgeizig überholen wollten. Und er war es auch, der jetzt das Tempo erhöhte, als er die Wölfin erblickte, die langsam über den Schnee trottete.

Dann trabte sie neben ihm, als ob ihr das so bestimmt wäre, und passte sich dem Tempo des Rudels an. Er knurrte nicht und zeigte ihr auch nicht die Zähne, wenn der eine oder andere Schritt sie weiter voran brachte als ihn. Im Gegenteil, er schien ihr äußerst freundlich gesonnen – mehr, als ihr lieb war. Denn er lief möglichst dicht bei ihr, und wenn er zu nahe kam, war sie es, die ihm knurrend die Zähne zeigte. Sie schreckte auch nicht davor zurück, ihn gelegentlich in die Schulter zu beißen. Er zeigte dann keinen Ärger, sondern sprang nur zur Seite und rannte steifbeinig ein paar unbeholfene Sätze voraus. Dabei erinnerten sein Benehmen und seine Haltung an die eines verlegenen Bauernburschen vom Lande.

Für ihn war das der einzige Ärger als Anführer, aber die Wölfin hatte noch andere Probleme. Auf ihrer anderen Seite lief ein hagerer alter Rüde mit grauen Haaren und Narben von vielen Kämpfen. Er lief immer auf ihrer rechten Seite. Das hatte vermutlich damit zu tun, dass er nur noch ein Auge hatte, und zwar das linke. Auch er neigte dazu, sie zu bedrängen und in ihre Richtung zu driften, bis seine narbige Schnauze ihren Körper, ihre Schulter oder den Hals berührte. Wie bei ihrem Gefährten zur Linken wehrte sie diese Bemühungen mit den Zähnen ab; aber wenn sie ihr beide gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit widmeten, wurde sie heftig hin und her gestoßen und musste ihre Verehrer mit raschem Schnappen nach beiden Seiten vertreiben, ohne aus dem Tritt zu geraten oder den Blick auf den Weg vor den Pfoten dabei zu verlieren. Bei diesen Gelegenheiten fletschten die beiden Verehrer die Zähne und knurrten sich über sie hinweg drohend an. Normalerweise hätten sie vielleicht gekämpft, aber selbst die Rivalität des Liebeswerbens musste jetzt hinter dem Hunger des Rudels zurückstehen.

Nach jeder Zurückweisung, wenn sich der alte Rüde abrupt vom scharfzähnigen Gegenstand seiner Begierde entfernte, stieß er mit der Schulter gegen einen jungen Dreijährigen, der auf seiner blinden rechten Seite dahintrottete. Dieser junge Wolf hatte schon seine volle Größe erreicht, und gemessen am schwachen und ausgehungerten Zustand des übrigen Rudels besaß er überdurchschnittlich viel Mut und Kraft. Trotzdem lief er so, dass sein Kopf nur auf Höhe der Schulter des Einäugigen blieb. Wenn er versuchte, auf gleicher Höhe wie der Ältere zu laufen, was selten vorkam, schickten ein Knurren und Schnappen ihn wieder zurück. Manchmal allerdings