: Monika Renz
: Der Mystiker aus Nazaret Jesus neu begegnen - Jesuanische Spiritualität
: Kreuz
: 9783451345890
: 1
: CHF 10.80
:
: Christliche Religionen
: German
: 208
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mo ika Renz hat viele Menschen in Lebenskrisen bis an die Grenze des Todes therapeutisch und spirituell begleitet. Gerade solch existenzielle Erfahrungen haben sie sensibel gemacht für tiefe menschliche Sehnsüchte nach Ganzsein und für die Bedeutung des Heiligen im Leben. Sie macht auf diesem Hintergrund die jesuanische Spiritualität neu und überzeugend begreifbar. Ihrem Blick erschließt sich dieser Jesus als Mystiker und als Menschenkenner par excellence, der Antworten gibt bis in schwierigste existenzielle Situationen hinein. Mehr als nur eine Übersetzungs- und Entdeckungshilfe für die authentische Botschaft und die Person Jesu ist dieses Buch auch ein Begleiter auf der eigenen Suche nach Verwurzelung in dem, was unser Leben übersteigt. 'Jesus war in allen seinen Worten und Taten immer in Verbindung mit dem Vater. Wenn er zu den Menschen spricht, wenn er sie berührt und heilt, dann geschieht das immer aus der tiefen mystischen Erfahrung Gottes heraus. Monika Renz beschreibt im Dialog mit der Tiefenpsychologie diese Tiefenerfahrung Jesu als den Grund seiner Person. So eröffnet sie dem Leser, der Leserin einen neuen Zugang zu Jesus. Die Beschäftigung mit Jesus will auch uns zu einer mystischen Erfahrung von Einssein mit uns selbst und mit dem göttlichen Urgrund führen, einen Zugang, der für unsere Erfahrung von Brüchigkeit heilsam ist.' (P. Anselm Grün OSB)

Monika Renz, Dr. phil. Dr. theol., Musik- und Psychotherapeutin, Psychoonkologin am Kantonsspital St. Gallen. Aufgrund ihrer praktischen Erfahrung und ihrer Forschungstätigkeit in den Bereichen Sterben, Spiritualität und tiefenpsychologische Exegese gilt sie als Pionierin der Spiritual-Care-Bewegung. Ihre Veröffentlichungen finden international Beachtung.

1 Religion– tiefste menschliche Sehnsucht


1.1 Das Christentum in der Krise– eine Analyse


Der Name Jesus ist im Abendland blutleer geworden. Er vermag kaum mehr, Grundstein einer christlichen Kultur und Religion zu sein. Das Christentum steckt seit Jahrzehnten in einer Krise, die sich als immer noch tiefer und weitreichender entpuppt: von der Kirchenkrise zur Glaubenskrise zur spirituellen Krise. Vordergründig werden die leeren Kirchen, die fehlende Glaubwürdigkeit von Amtsinhabern und die mangelnde Dialogbereitschaft innerhalb kirchlicher Hierarchien beanstandet. Zudem beklagt man die abnehmende Bekenntniskraft: Darf ein Pfarrer noch Pfarrer sein oder ist er nur noch Sozialarbeiter? Soll eine politische Partei das›C‹ für›christlich‹ noch in ihrem Namen tragen? Kann Theologie, können Einzelne noch selbstbewusst das zentral Christliche umkreisen, ohne darin als fundamentalistisch abgestempelt zu werden? Die Kraft eines christlichen Lebens aus dem Glauben wird oft schon gar nicht mehr erprobt. Man versucht es nicht mehr mit Jesus. Unglaubwürdige Kirchen und Verfehlungen von Seelsorgern sind längst zur Ausrede und zum Argument gegen die christliche Religion geworden. Doch all dies erfasst die Tiefe der heutigen Krise nicht.

Ein anderes, sich schon lange abzeichnendes Gesicht der Krise ist die fehlendeinnere Ausrichtung von Religion.Über Jahrhunderte verstand sich Kirche vor allem als exoterisch (????????), was auch»äußerer«,»draußen« heißt. Die Kirchen waren nach außen gerichtet. Sie machten sich stark in Lehre und Verkündigung und verbaten sich und ihrem Kirchenvolk die persönliche Gotteserfahrung. So verständlich der historische Hintergrund dieser erfahrungsscheuen Kirchenentwicklung ist (Bekämpfung der Gnosis4), so ist sie doch problematisch, einseitig institutionssichernd: Die eigentliche Mitte christlicher Existenz– Jesus Christus– wurde nur nochüber das Hören-Sagen (Hiob 42.5) gelehrt und nicht mehr gespürt, nicht erfahren. Und die moderne Gegenbewegung der Esoterik, die dem Wortsinn nach auf das Innere, Hintere, Geheime verweist (????????/ esoterisch), ist ihrerseits zum Sammelsurium spiritueller, ja spiritistischer Glaubenslehren und damit auch zum Schimpfwort geworden. In esoterischen Anschauungen, die sich teils auf frühchristlich gnostische Bewegungen berufen, ist menschlichen Selbsterlösungsphantasien und der ihnen innewohnenden Selbstüberschätzung Vorschub geleistet. In der Esoterik geht es zwar um Erfahrung, aber nicht mehr um Jesus Christus. Der nicht mehr›not-wendige‹ und damit auch nicht mehr erfahrene Christus ist längst zum Argument gegen Christus geworden.

Die schwerwiegendste Krise des westlichen Christentums scheint mir aber einespirituelle zu sein. Sie manifestiert sich in einer um sich greifenden spirituellen Beliebigkeit, einer Art Mc-Donald’s-Religion, in der– wie F. Steffensky (2012) treffend formulierte (DRS 2, Sternstunde Religion, 9.2. 2012)–»schlussendlich alles gleich schmeckt«. So stößt derzeit der aus demöstlichen Kontextübernommene Begriff Achtsamkeit auf ein so hohes Ausmaß von Begeisterung, dass es scheint, als sei er selber zur Religion geworden. Achtsamkeit ist zwar wichtig, fördert Toleranz, Körperwahrnehmung und Bewusstwerdung, ist aber nicht Inhalt von Religion. Religiöse Beliebigkeit bringt emotionale, geistige und sogar kulturelle Verflachung mit sich, in der sich der Kern aller Religion, auch des Christlichen, verflüchtigt. Jesus als Erlöser und seine Botschaft vom Reich Gottes sind dann selbst für Christen gar nicht mehr nötig. Das Bewusstsein um die jüdisch-christlichen Wurzeln unserer abendländischen Kultur und ihrer Geistesgeschichte sowie das entsprechende kulturelle Wissen sind im Begriff sich aufzulösen. Eine Diskussion darüber findet kaum noch statt. Neue Generationen wachsen nicht nur ohne Sakramente und kirchlich-religiöse Symbole auf, sondern auch ohne Bibel und ohne das jüdisch-christliche Weltbild, ohne Jesus, ohne den»Gott der Väter«, ohne ehrfurchtauslösende Erfahrungen von Religionüberhaupt. Nicht nur das Judentum, auch das Christentum wird dort, wo es noch lebt, mehr und mehr zur Ghettoreligion, derweil rundherum Bewusstwerdung, Differenzierung und Verbindlichkeit im Geistig-Religiösen immer weniger erstrebenswert erscheinen. Immer mehr Menschen stellen die großen Fragen nach dem letzten Sinn, nach Immanenz und Transzendenz gar nicht mehr und eignen sich eine Spiritualität an, die das Diesseits verklärt und dazu anleitet,›mystisch eins zu werden mit dem, was ist‹ (Striet 2012, S. 157).

Seit Jahrzehnten ist zu beobachten, dass viele im Christentum großgewordene Menschen auf andere Religionen zugehen. Auch das finde ich nicht unproblematisch. Das Studium der anderen Kulturen lehrt uns zwar, wie verschieden Menschen sein können. Es führt in den nötigen Respekt vor dem Anderen ein. Aber als Anderes, Fremdes, kann dieses letztlich nicht Ersatz sein für das abhanden gekommene Eigene. Ich gehe davon aus, dass Religion grundsätzlich auf menschliche Sehnsüchte antwortet. Die Entwicklung einer Kultur und Religion sehe ich als wechselseitigen P