1.2 Stand der Forschung
Wenn sich auch für die 50er- bis 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine gewisse Randständigkeit der Erwachsenenbildung im Ganzen der Theologie konstatieren lässt14, so hat doch die Frage nach dem genuinen Ort kirchlicher Erwachsenenbildung innerhalb der Praktischen Theologie sowie die Erarbeitung ihres theoretischen und praktischen Propriums seit den 80er-Jahren unübersehbar an Bedeutung gewonnen.15 Dabei stellt die Frage, wasreligiöse Selbstbildung im Kontext kirchlicher Erwachsenenbildung konstituiert und legitimiert, gewissermaßen ein eigenes Feld dar.
Die vorliegende Untersuchung möchte in den Diskurs um diese Frage eintreten und hierzu einen Beitrag leisten, der sich ebenso inspiriert weiß wie kritisch herausgefordert sieht durch die dort kommunizierten Erkenntnisse, Fragestellungen und Impulse. Darum soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, auf der einen Seite die großen Linien der jeweiligen Untersuchung aufzuzeigen, auf der anderen Seite aber darin speziellden Faden aufzunehmen, der in besonderer Weise auf die Leitfrage der vorliegenden Untersuchung hinführt und zu ihrer Beantwortung beiträgt. Dass die hier vorgenommene Auswahl nicht dem Anspruch auf Vollständigkeit genügen kann, sei nur am Rande bemerkt.16 Gleichwohl sollte sie eine fundierte Einführung in den gegenwärtigen Stand der Forschung leisten können.
Nicht zufällig steht am Anfang der BetrachtungHenning Luther. Seine Bedeutung für die Wahrnehmung und Verortung der Erwachsenenbildung im Kontext der Praktischen Theologie kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nach seiner Definition stellt Erwachsenenbildung»eine Wiederholung des Gesamtspektrums der Praktischen Theologie unter den spezifischen Aspekten›Bildung‹ und›Erwachsener‹« dar. Sie ist damit»nichtein Bereich kirchlichen Handelns und praktisch theologischer Theorie neben anderen, sondern eine zentrale Perspektive, unter der Praktische Theologie kirchlichgemeindliche Praxis zu erfassen sucht«.17 Ist damit der Erwachsenenbildung die Rolle als»integratives Moment der Praktischen Theologie«18 zugewiesen, dann beantwortet Luther die Frage nach ihrem Subjekt in einer Weise, dass es darin zu einem grundlegenden Objekt-Subjekt-Wechsel kommt.
Deutlich wird dies an der sog. Laienfrage: Der Laie kann nicht länger das Objekt kirchlicher Handlungen sein, sondern»kirchliche Praxis (ist) insgesamt vom Laien her zu rekonstruieren«.19 Indem so die»Laienperspektive« in die Praktische Theologie eingebracht wird, wird zugleich eine Aussageüber die Religion selbst getroffen: Sie besteht nicht länger»in der bloßenÜbernahme offizieller, dogmatisch fixierter Lehre«, sondern muss verstanden werden als»subjektiver Akt der selbständigen Auslegung von und auch kritischen Auseinandersetzung mit den Deutungsangeboten der Religion«. Damit verändert sich auch die»Aufgabe der Praktischen Theologie. Sie kann sich dann nicht mehr darauf beschränken, zu fragen, wie feststehende, zuvor in den anderen theologischen Disziplinen ermittelte Inhalte an bestimmte Adressaten zu vermitteln seien. Sie hat dann vielmehr davon auszugehen, dass die einzelnen Subjekte nicht (nur) Empfänger theologischer Lehre sind, sondern selbständige und kreative Produzenten religiösen Denkens.«20
Auch wenn Luther noch eher verhalten von einer»subjekttheoretischen Wende in der Praktischen Theologie«21 spricht, so ist doch die Nähe zu jenen Konzepten der reflexiven Wende in der Erwachsenenbildung unübersehbar, in denen die»Hinwendung zum Teilnehmer« in Gestalt subjektorientierter Konzepte vollzogen wird.22 Begriffe wie Lebenswelt, Alltag und Biographie und Bildung werden von ihm nicht nur in den praktisch-theologischen Kontext gestellt, sondern dort auch zum Ausgangspunkt praktisch-theologischer Reflexionüber den Menschen als Subjekt der Religion gemacht.
Spätestens hier zeigt sich, worin dieüber die Praktische Theologie hinausgehende Leistung Luthers besteht: Gegenüber der Dialektischen Theologie, die seinerzeit den theologischen Diskurs noch weithin prägte und schon in der Wendung vom»Menschen als religiösem Subjekt« die Abkehr von Gott vollzogen sah, hat Luther mit seinen religions- und bildungstheoretischenÜberlegungen die Praktische Theologie wieder handlungsfähig gemacht. Sie»formuliert dabei nicht den Einheitskonsens der Glaubenden, sie formuliert nicht jenes inhaltliche Einverständnis, auf das alle zu verpflichten wären, sondern klärt– auf hermeneutische und empirische Weise– die Bedingungen, unter denen sich dieVerständigung zwischen den religiösen Subjekten vollziehen kann. Was und wie zu glauben ist, klären die einzelnen Subjekte selber.«23 Damit ist im Kern schon das Prinzip der religiö