: Henning Lobin, Regine Leitenstern, Katrin Lehnen, Jana Klawitter
: Lesen, Schreiben, Erzählen Kommunikative Kulturtechniken im digitalen Zeitalter
: Campus Verlag
: 9783593420998
: Interaktiva, Schriftenreihe des Zentrums für Medien und Interaktivität, Gießen
: 1
: CHF 38.10
:
: Kommunikationswissenschaft
: German
: 324
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Die Digitalisierung der Medien und die Vernetzung der Kommunikation prägen maßgeblich unseren Alltag: Sie beeinflussen die kommunikativen Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Erzählens. Die Autorinnen und Autoren widmen sich diesem Phänomen aus dem Blickwinkel der Sprach- , Literatur-, Geschichts- sowie Politikwissenschaft und analysieren seine Bedeutung für die Produktion, Organisation und Rezeption unseres kulturellen Wissens.

Henning Lobin ist Geschäftsführender Direktor des ZMI und Prof. für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Universität Gießen; Jana Klawitter ist dort Doktorandin. Katrin Lehnen ist Prof. für Sprach- und Mediendidaktik an der Universität Gießen. Regine Leitenstern ist Doktorandin am GCSC, Gießen.
Wissen im Netz

Olaf Breidbach

Wissen in der digital vernetzten Welt scheint - so meine These - nur vordergründig freigesetzt. Es sind nicht nur die alten Konzepte von Mind and Cognition, es sind auch die alten Konzepte von System und Ordnung, die die Wissensbewertung und Wissensorganisation der Moderne bestimmen. Verdeckt wird dies Alte durch den Verweis auf das so unendlich groß erschei-nende Reservoir der technologisch erschlossenen Novitäten. Im Netz der Informationswege ist jeder Mensch ein Informer. Das klingt offen, demokratisch und lebendig - und doch scheint mir Vorsicht gegenüber diesem Bild der offen organisierten neuen Wissensgesellschaft und der damit proklamierten Öffnung der Wissensordnungen angebracht. Insoweit möchte ich hier einige Gedanken zu dem Problem der Vernetzung offerieren, die zunächst kritisieren, dann aber ausgehend von dieser Kritik mit aller Vorsicht auch eine neue Perspektive formulieren.

Dabei scheint mir das Moment des Digitalen im Verweis auf die neuen Technologien selbst weniger problematisch. An sich ist es nicht mehr als der Ausweis eines sich diskretisiert abfangenden Alls von Zuordnungsbestimmungen. Das Kontinuum eines Zuordnungsfeldes wird hier in eine Folge von Ja-Nein-Entscheidungen umgesetzt in denen - so Turing - jeder mögliche Satz formulierbar ist. ?Digital? ist dabei nichts Modernes, es ist in der Organisation der digitalen Welt vielmehr nach der Struktur der Logik des Porphyrios gezeichnet. Und wie bei Platon eine Einzelheit in einer Folge von Ja-Nein-Entscheidungen im Konzert der uns verfügbaren Begriffe identifiziert und bezeichnet wurde, so sind auch in den Entscheidungs-bäumen unserer Expertensysteme solche dichotomen Schlusswege aufgebaut. Nicht dass es - mit Aristoteles - nicht auch multi-tom ginge, nur wäre in der dann nachzuvollziehenden Logik das einfache Ja-Nein in eine Matrize umzulesen, in der nun in der Kopplung einer Folge von Matrizen die Eindeutigkeit einer Zuordnungsfolge sehr rasch aufgelöst würde. Das parallel processing, jene Anfang der 1980er Jahre als Verheißung des neuen digitalen Zeitalters erscheinende Programmierung nahm solch eine Idee eines Nebeneinanders von Entscheidungsmöglichkeiten auf. Allerdings sind die klassischen Verrechnungs- und Berechnungsverfahren auch dieser Alternative zu einer strikt dichotomen Sichtung von Entscheidungsprozessen sehr schnell in ein dann doch hierarchisch strukturiertes, und damit die Parallelität nur emulgierendes Controlling überführt. Von der Alternative zu klassisch logisch operierenden Verfahren bleibt nur soviel erkennbar, wie es auch in den klassisch logischen Operationen darstellbar - und kontrollierbar - ist. Das Digitale gibt die Sicherheit, auch in der unermesslichen Weite der im Großrechner erarbeiteten Berechungsfolgen doch ei-ner strikten Observanz zu folgen. Ausreißer aus dieser Logik sind so schnell zu kennzeichnen, das unendlich rasch erscheinende Verfahren bleibt in seiner Logik so immer noch in den Formen gefangen, die uns verfügbar sind - und die somit von uns zumindest im Prinzip gewusst werden können. Viel ist zwar mehr, aber eben noch nichts wirklich Anderes.

Positioniere ich nun dieses Viele in einem Gefüge, und setze so eine kaum mehr abzählbare Reihe möglicher Bestimmungen in Bezug zueinander, so gewinne ich augenscheinlich eine Dynamik des mir nicht mehr unmittelbar Nachzuvollziehenden. Doch generiere ich darin kein Chaos, ich sehe vielmehr auf einen Ordnungszustand. Diesen im Blick, kann ich mich dann anscheinend beruhigt zurücklehnen. Schließlich weiß ich all das Viele doch in Bahnen geführt, die ich vorab angelegt habe. Es gibt in den derart kanalisierten Strömen, in den in ihren Zusammenflüssen induzierten Turbulenzen dabei doch noch viel an Neuem und damit immer wieder Neues zu entdecken. Aufzuweisen vermag ich so mit den neuen Mitteln die Freude der alten Kombinatorik, jenes Berechnen des Neuen im Abwägbaren eines in seiner Gesamtheit zwar unermesslich Erscheinenden, im Letzten dann aber doch immer berechenbaren Alls von Bestimmtheiten. Und so zeigt mir eine Vielzahl immer wieder neuer Entdeckungen zwar Neuigkeiten, doch nichts anders. Es ist das neu Kombinierte, das in seiner Möglichkeit ja immer schon Erahnte, das ich so entdecke. Innovationen sind in diesem Reich der möglichen Kombinationen denn auch bewertbar. Ich beziehe ihren Wert auf den Grad der Wahrschein-lichkeit, mit der solch eine Kombination im Reich der Möglichkeiten zu erwarten ist. Das Un-gewöhnliche ist damit Teil meiner Erwartungen, die Sicherheit eines Wissens, das sich auch im Neuen immer wieder bestätigt weiß, ist damit nicht nur einsehbar, sondern bemessbar zu machen. Den Wert solch einer Innovation kann ich skalieren. Wobei ich gegebenenfalls indirekte Bemessungsverfahren w

Inhalt6
Vorwort8
Wissen im Netz – Olaf Breidbach16
I. Lesen und Schreiben36
Der digitale Textentwurf: Prolegomena zu einem materialästhetischen Feld medienkulturwissenschaftlicher Forschung – Oliver Ruf38
Schreiben mit Zettel und Link: Ein Einstieg in digitale Zettelkastensysteme – Annina Klappert64
Papierlose Notizen: Zum Gebrauch von Handyfotografie als Mnemotechnik des Alltags – Michael A. Conrad84
Digitales Schreiben im Deutschunterricht – Florian Radvan108
(Un)Sicherheit im wissenschaftlichen Schreiben: Webbasierte Untersuchungen zu konzeptionellen Prozessen und Schreibflüssigkeit – Annika Dix, Lisa Schüler und Jan Weisberg132
Between Work and Network: A Qualitative Approach to Quantitative Textuality – Andrew Patten158
Volltextsuche und der philologische Habitus – Mirco Limpinsel172
II. Erzählen – faktual und fiktional188
Vom Printroman zur »living novel«: Fiktionales Erzählen im Internet am Beispiel des Browsergames TwinKomplex – Alexander Scherr190
Digitale Detektive: Verschwörungstheorie im Internet – John David Seidler210
Begriffe auf Wanderschaft: Denkkollektive in sozio-technischen Vernetzungen – Jana Klawitter232
Im Schatten von Warschau: Von der Marginalisierung zur Multimedialisierung der Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt – Markus Roth256
Fotografien des Ersten Weltkriegs in der Weimarer Republik und in digitalen Quellensammlungen – Julian Nordhues274
Twitter als narrative Form der politischen Kommunikation im Wahlkampf – Björn Klein292
Autorinnen und Autoren310
Index318