: Tobias ten Brink
: Chinas Kapitalismus Entstehung, Verlauf, Paradoxien
: Campus Verlag
: 9783593419893
: Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung
: 1
: CHF 38.10
:
: Vergleichende und internationale Politikwissenschaft
: German
: 372
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Das chinesische Wirtschaftswachstum der letzten 30 Jahre stellt mittlerweile jeden anderen langen Aufschwung der neueren Geschichte in den Schatten. Wie konnte sich diese Entwicklung in einem Land vollziehen, in dem die uneingeschränkte Herrschaft der Kommunistischen Partei gilt? Tobias ten Brink untersucht die politische Ökonomie Chinas erstmals systematisch anhand von Erkenntnissen aus der vergleichenden und internationalen Kapitalismusforschung. Seine Analyse der Dynamiken dieses eigentümlichen Wirtschaftstyps zeigt zudem, dass der chinesische Kapitalismus eine paradoxale Entwicklung durchläuft, die den Aufstieg Chinas zur Weltmacht beeinträchtigen könnte.

Tobias ten Brink, PD Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Einleitung

Das chinesische Wirtschaftswachstum seit Ende der 1970er-Jahre stellt mittlerweile jeden anderen langen Aufschwung in der Geschichte der Moderne in den Schatten. Während die größten OECD-Ökonomien noch immer mit den Folgen der schärfsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg kämpfen, schickt sich die Volksrepublik an, mit vergleichsweise gewaltigen Wachstumsraten darauf hinzuarbeiten, nicht mehr nur als 'Werkstatt der Welt' zu fungieren, sondern selbst die Rolle eines Innovationsmotors zu übernehmen.

Freilich existiert jenseits dieser Entwicklungen auch ein anderes China, das noch immer mit sozialen Problemen zu kämpfen hat, die denen anderer Entwicklungs- beziehungsweise Schwellenländer vergleichbar sind. Dennoch stellt China nach Kriterien der ökonomischen Effizienzsteigerung den weltweit erfolgund folgenreichsten Fall einer nachholenden Entwicklung dar. Selbst erfahrene Wachstumsforscher oder Industriesoziologen sind von den Ausmaßen der industriellen Expansion in einigen Gebieten des Landes überrascht, etwa im Pearl-River- oder im Yangtse-River-Delta. In den letzten dreißig Jahren sind hier die größten Industriezonen der Weltgeschichte errichtet worden. Was westliche Beobachter dabei häufig mehr als alles andere erstaunt, ist die Tatsache, dass sich die Entwicklung zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde in einem Land vollzog, das von einem autoritären Parteistaat dominiert wird, in dem die Herrschaft der 'Kommunistischen Partei Chinas' (KPCh) noch immer uneingeschränkt gilt.

Die Renaissance des Reichs der Mitte hat ein großes Interesse an China angestoßen und viele Fragen aufgeworfen: Was für ein gesellschaftliches Gebilde ist im Zuge des chinesischen Reformprozesses entstanden, der mittlerweile die maoistische Ära (1949-1978) zeitlich um einige Jahre übertrifft? Welche Antriebskräfte haben die Entwicklung befördert? Welche paradoxalen Folgen zeitigt dieses 'Wirtschaftswunder'? Unterschiedlichste Positionen, die zum Teil durch Argwohn gegenüber einem aufstrebenden China gekennzeichnet sind, bis hin zu einer 'Sinomania' (Anderson 2010a), werden in der neuen China-Debatte vertreten. Die gegenwärtige Begeisterung über die wirtschaftliche Dynamik des Landes, obgleich zeitweise durch Berichte über die politische Repression in der Volksrepublik relativiert, erinnert dabei an das 17. und 18. Jahrhundert, als Denker wie Leibniz, Voltaire oder Quesnay beeindruckt über den Wohlstand des imperialen China schrieben und ihm eine gegenüber Europa fortgeschrittene Zivilisationsstufe beimaßen. Selbst die etwas skeptischeren Zeitgenossen wie Montesquieu oder Adam Smith bewunderten die Herrschaftsordnung und den Reichtum des Landes. Nachdem dann im 19. Jahrhundert und der Kolonialisierung von Teilen des Landes drastische Einstellungsveränderungen gegenüber China auftraten, in denen die militärische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rückständigkeit des zerfallenden Reiches in den Vordergrund rückten - Antipathien, die im 20. Jahrhundert und schließlich mit der Machteroberung der Maoisten eskalierten -, erscheint heute eine von Befürchtungen durchdrungene Bewunderung die Oberhand zu gewinnen.

Problemstellung und Erkenntnisinteresse

Die chinesische Gegenwart erinnert in Vielem an kapitalistische Entwicklungsprozesse. In den emissionsgesättigten Großstädten des Landes besteht vor dem Hintergrund sich rasant auftürmender 'Warenansammlungen' (Marx) ein hektisches Klima des Kaufens und Verkaufens. E

Inhalt6
Dank10
Einleitung14
Kapitel 1 Forschungsstand und Forschungsrahmen36
1.1 Einsichten, Defi zite und Desiderate in der Chinaforschung36
1.1.1 Vom Plan zum Markt: Diskurse der Transformationsforschung38
1.1.2 Vermarktlichung und innovatives Unternehmertum39
1.1.3 Die Debatte um die Anpassungs- und Steuerungsfähigkeit des Partei-Staates40
1.1.4 China als sozialistische Marktwirtschaft und Hybridmodell41
1.2 Zur Untersuchung Chinas in politökonomischer Perspektive44
1.2.1 Spielarten des Kapitalismus und Spielarten der Kapitalismustheorie45
1.2.2 Kapitalistisch dominierte Moderne(n)48
1.2.3 Institutionen und historischer Wandel: Zur soziokulturellen Einbettung des Kapitalismus59
1.2.4 Fünf Dimensionen des Kapitalismus68
1.2.5 Zwischenfazit79
Kapitel 2 Von Mao über Deng bis zur Hu/Wen-Ära: Entstehung und Verlauf der kapitalistischen Modernisierung in China82
2.1 Proto-Kapitalismus: Zur Vorgeschichte der Deng’schen Wende82
2.1.1 Exkurs: Die Revolution von 1949 und der Maoismus86
2.1.2 Zwischen Kommandowirtschaft und Plan-Anarchie: Wesensmerkmale der chinesischen Ökonomie zwischen den 1930ern und den 1970ern91
2.1.3 Die Krise nach der Krise: Der erschöpfte Maoismus in den 1970ern102
2.1.4 Zwischenfazit112
2.2 Die Entstehung des staatlich durchdrungenen Kapitalismus (I): Zwei Phasen der Reform114
2.2.1 Reform des Agrarsektors, Marktexpansion und der Aufstieg der township and village enterprises117
2.2.2 Zur Transformation der urbanen Zentren und industriellen Sektoren121
2.2.3 Das politische System im Prozess der Marktexpansion: De- und Rezentralisierung136
2.2.4 Umwandlung des Finanzsystems152
2.2.5 Veränderungen im System der Arbeitsbeziehungen und der Sozialpolitik164
2.2.6 Zwischenfazit170
2.3 Die Entstehung des staatlich durchdrungenen Kapitalismus (II): Chinas Integration in den globalen Kapitalismus175
2.3.1 Die Entstehung des Exportismus176
2.3.2 Hongkong, Taiwan und die Überseechinesen182
2.3.3 Die Rolle globaler Produktionsverbünde und der Überakkumulation von Kapital im »Norden«188
2.3.4 Zwischenfazit192
Kapitel 3 Gegenwärtige Entwicklungslinien des chinesischen Kapitalismus194
3.1 Unternehmensorganisation und gesamtwirtschaftliche Dynamiken194
3.1.1 Einheit in der Vielfalt? Heterogene Unternehmensformen und Produktionsregime195
3.1.2 Die privat-öffentliche Organisation der chinesischen Wirtschaft205
3.1.3 Der Unternehmenssektor als Stabilisator des Status quo: Erste Schlussfolgerungen214
3.1.4 Paradoxien der Prosperität: Zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nach 2008216
3.1.5 Zwischenfazit239
3.2 Für und mit Märkte(n) planen: Der heterogene Parteistaat241
3.2.1 Politische Steuerungskapazitäten des unternehmerischen Planstaates244
3.2.2 Wie steuert der Staat? Zum Verhältnis lokaler Modellexperimente und zentraler Koordination254
3.2.3 Das fortwährende Gewicht der KPCh260
3.2.4 Grenzen der politischen Steuerung269
3.2.5 Zwischenfazit279
3.3 Grenzen des chinesischen Typus der Subordination? Der Wandel der industriellen Arbeitsbeziehungen282
3.3.1 Strukturmerkmale des chinesischen Arbeitssystems285
3.3.2 Die »vier Parteien« im System der Arbeitsbeziehungen290
3.3.3 »Tripartismus mit vier Parteien«: Erste Schlussfolgerungen299
3.3.4 Zwischen einem unvollständigen Korporatismus und eruptiven Sozialprotesten: Perspektiven der Arbeitsbeziehungen im chinesischen Kapitalismus301
3.3.5 Zwischenfazit310
Kapitel 4 Fazit312
4.1 Kapitalistische Entwicklung in China312
4.2 Paradoxien des chinesischen Kapitalismus324
4.3 Theoretische Implikationen für die Kapitalismus und Chinaforschung330
Abbildungen und Tabellen340
Abkürzungen342
Literatur344