'Dieses innovative Buch bringt die uralte, heilsame Weisheit der Mitgefühlsschulung in unsere heutige Zeit. Basierend auf solider Forschung, kontemplativer Erfahrung und therapeutischer Anwendung stärkt MBCL unseren natürlichen Instinkt für Mitgefühl und bietet wichtige Werkzeuge, um mit emotionalem Schmerz auf gesunde, radikal andere Art umzugehen.'
Dr. Christopher Germer, Klinischer Psychologe, Harvard Medical School
1.4 Stand der Wissenschaft
Achtsamkeit, Selbstmitgefühl und Gesundheit
Für diejenigen, die an wissenschaftlichen Daten interessiert sind, geben wir einen kurzen Überblick über die veröffentlichten Studien über die Wirkungen von(Selbst-)Mitgefühl und liebevoller Freundlichkeit. Zweifellos werden diese Forschungen in den kommenden Jahren noch intensiviert werden. Eine Darstellung der inzwischen umfangreichen Forschung über die Wirkung von Achtsamkeitstraining (MBSR/MBCT) würde den Rahmen dieses Buches sprengen, wir verweisen stattdessen auf die Meta-Analysen von Baer (2003), Grossman u.a. (2004), Hofmann u.a. (2010), Chiesa und Serretti (2011) und Piet Hougaard (2011). Eindeutig belegt ist inzwischen,dass Achtsamkeit positive Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit hat. Über das Wie und Warum weiß man noch wenig, und hier sind noch viele weitere Forschungen notwendig. Shapiro und Carlson (2009) sind der Meinung, dass jetzt die Zeit reif dafür ist, um den Schwerpunkt der Achtsamkeitsforschung von der Reduzierung der Beschwerden und Symptome auf die Kultivierung heilsamer geistiger Qualitäten wie Weisheit, Mitgefühl und Tugend und Ethik zu verlagern. Das Konzept der Achtsamkeit hat sich schrittweise erweitert und es lässt sich nicht scharf von (Selbst-)Mitgefühl trennen. Bei den ersten Fragebögen zur Einschätzung von Achtsamkeit ging es vor allem um das Maß der reinen Aufmerksamkeit. Die später verwendeten Fragebögen sprachen auch andere Aspekte an, z.B. die akzeptierende und nicht-wertende Haltung, mit der die Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet wird. Hier sieht man leicht die Überschneidungen zu einer mitfühlenden Haltung, wenn Schmerz und Leid im Feld des Gewahrseins auftauchen. Viele sind der Ansicht, dass die Qualität von (Selbst-)Mitgefühl durch die Achtsamkeitspraxis »wie von selbst« mitentwickelt wird. Dass Achtsamkeitstraining Selbstmitgefühl fördern kann, wurde z.B. bei professionellen Therapeuten und solchen in Ausbildung festgestellt, die an einem MBSR-Kurs teilgenommen hatten (Shapiro u.a. 2005, 2007). Auch in einer Gruppe von Patienten mit wiederkehrenden Depressionen, die in MBCT unterrichtet wurden, ließ sich das nachweisen (Kuyken u.a. 2010). Interessanterweise schien dabei Selbstmitgefühl als Beschleuniger zu wirken, was die Stressminderung und die Rückfallprävention anging. Man könnte daher argumentieren, dass es sich bei Selbstmitgefühl möglicherweise um den zentralen Mechanismus in der Effektivität von Achtsamkeit handelt (Baer 2010).
Das Instrument, das normalerweise dazu benutzt wird, um Selbstmitgefühl zu messen, ist die von Kristin Neff (2003b) entwickelte Skala. Neff hat den Weg für die Erforschung von Selbstmitgefühl in psychisch relativ gesunden Bevölkerungsgruppen gebahnt. Auch hier lässt sich nicht trennen, welchen Beitrag dabei Achtsamkeit bzw. Selbstmitgefühl leistet, dennAchtsamkeit selbst, als die Fähigkeit, unseren Schmerz und unser Leid achtsam anzuerkennen, ist Teil der Selbstmitgefühlsskala. Die beiden anderen Elemente auf der Skala sindCommon humanity, die Fähigkeit, unser Leiden als Teil unserer gemeinsamen menschlichen Verfassung zu sehen, undSelfkindness, die Freundlichkeit uns selbst gegenüber, wenn wir Schmerz und Leiden erfahren. Alle drei Elemente sind wichtig für das Selbstmitgefühl und voneinander abhängig. Wahrscheinlich verstärken das Üben von Achtsamkeit und (Selbst-)Mitgefühl sich gegenseitig, aber es sind weitere empirische Forschungen notwendig, um genau zu bestimmen, wie sie zueinander in Beziehung stehen. Es ist anzunehmen, dass beide auf ihre eigene Art gesundheitsförderlich sind.
Die Menge der Hinweise darauf wächst, dass die Entwicklung von Selbstmitgefühl explizitere Aufmerksamkeit verdient (für Literaturübersichten siehe Barnard& Curry 2011; Hofmann u.a. 2011; Neff 2012). Eine vor kurzem durchgeführte Untersuchung (Van Dam u.a. 2011) unter mehr als 500 Teilnehmern aus der allgemeinen Bevölkerung, die sich zu einer Selbsthilfemethode gegen Angstzustände anmeldeten, zeigte, dass Selbstmitgefühl, bewertet nach der Skala von Neff, insgesamt deutlich mehr Vorhersagekraft für psychisches Wohlbefinden (das Maß an Angst und Depressionssymptomen und Lebensqualität) besaß als eine reine Achtsamkeitsskala. Bei Untersuchungen mit Probanden aus der generellen Bevölkerung war Selbstmitgefühl positiv korreliert mit psychologischen Stärken wie Freude, Optimismus, Weisheit, Neugier, persönlicher Initiative, emotionaler Intelligenz und sozialer Verbundenh