ICH BIN WIE ICH BIN
Ich bin wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich. Mein Respekt geht postum an Konrad Adenauer, der nicht nur der erste Bundeskanzler, sondern auch Ehrenbürger Berlins war. Schöner hätte ich es nicht formulieren können. Der Mann hatte es drauf! Immer einen schmissigen Spruch auf den Lippen.
In einer Stadt wie Berlin darf per se jeder sein, wie er ist. Individualität ist gefragt, wird aber selten geboten, selbst die Punks tragen ihre Mode wie ein subkulturelles Erkennungsmerkmal an ihrem Körper, individuell sieht anders aus. Doch wer gesehen werden will, wird gesehen, alle anderen können in der Anonymität der Stadt untertauchen. Die Nachbarn interessieren sich wenig füreinander, Tote verwesen hier schon mal mehrere Wochen unbemerkt in ihren Wohnungen. Wer neu in der Stadt ist, muss ganz schön was losmachen, um aufzufallen.
Auffallen ist aber nicht mein Ding, ich bin ein Nordlicht, eher spröde also. Meine Kindheit verbrachte ich in einer Kleinstadt an der Nordseeküste, liebte die Möwen am Himmel, hasste ihren Schiss auf den Bänken. Doch meine Herkunft bringt mir, im Gegensatz zu Menschen, die aus dem Schwabenland kommen, immerhin ein anerkennendes Nicken ein. Warum, weiß ich nicht, vielleicht weil man bei fünfzig Wochen Schietwetter im Jahr, Aal zum Weihnachtsfest und dauerhafter Föhnwelle schon einiges mitgemacht hat. Für Begeisterungsstürme reicht es jedoch nicht, da hätte ich schon mit einer Geburt in einem israelischen Kibbuz, einer Jahre andauernden Sinnsuche in einem indischen Aschram oder einem turbulenten Leben in einer Diplomatenfamilie aufwarten müssen. Nordkorea, Irak, Afghanistan.
Doch auch für mich war der Weg nach Berlin weit, weiter als zunächst gedacht. Bereits zu Beginn meiner Volljährigkeit zog es mich an die Spree, in diese berauschende Stadt, die gerade zusammenwuchs, zwei Seelen, die eins werden sollten, ohne Grenzen, voller Möglichkeiten. Ich wollte was erleben, Geschichten sammeln, frei sein. Bedauerlicherweise verbrachte ich den Sommer nach meinem Abitur lieber im Freibad, als mich an der Humboldt Universität einzuschreiben, so verpasste ich wichtige Fristen, Fristen, die in keinem Fall – auch für Sie gibt es keine Ausnahme, mein Fräulein – verlängert werden konnten. Tränen flossen.
Seitdem boykottiere ich Fristen jeglicher Art, habe nicht aus meinem Fehler gelernt, sondern eine Art Protesthaltung gegenüber Fristen entwickelt. Und ich besitze Ausdauer, bis zur zweiten Mahnung rühre ich mich nicht.
In besagtem Sommer am Ende des letzten Jahrtausends begann ich also ein Studium in einer westdeutschen Kleinstadt nahe der ehemaligen ostdeutschen Grenze. Nach meinem Abschluss tingelte ich durch diverse Städte, München, Barcelona, Hamburg, arbeitete bei Zeitungen und PR-Agenturen, beim Radio und Fernsehen, zuletzt in Bielefeld. Mein Tiefpunkt.
Vor fünf Jahren war es so weit, ich nahm all meinen Mut zusammen, kündigte und zog ohne Job und mit leerem Sparbuch nach Berlin, der Stadt meiner Träume. Ein bisschen Pathos darf an dieser Stelle ruhig sein. Es war eine Herausforderung, die ich lächelnd annahm, befand ich mich doch auf der Zielstrecke zum Glück, meiner Karriere ganz nah, unbeirrbar in dem Glauben, dass mich Berlin und seine Bewohner mit offenen Armen empfangen würden. Ein Trugschluss.
Am Anfang meines Berlinlebens stieg ich die Karriereleiter so weit hinunter, wie es nur ging. Nach mir gab es nur