: Stephan Marti
: Migration und Schulerfolg Erklärungsfaktoren des Schulerfolgs von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund unter besonderer Berücksichtigung der Förderung der Erstsprache. Eine systemisch-konstruktivistische Betrachtungsweise
: Grin Verlag
: 9783656439257
: 1
: CHF 17.90
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: Sozialpädagogik, Soziale Arbeit
: German
: 102
: kein Kopierschutz/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Masterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Pädagogik - Interkulturelle Pädagogik, Note: 1,5, Pädagogische Hochschule Zentralschweiz, Hochschule Luzern (Institut für Schule und Heterogenität), Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Literaturstudie entsteht im Rahmen einer Master Thesis an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz. Sie verfolgt das Ziel, die Forschungsarbeiten im Bereich der interkulturellen Pädagogik bezüglich des Schulerfolgs von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu durchleuchten und die Erklärungsfaktoren dessen aufzuzeigen. Um dem für die Schweiz typischen, föderalen Bildungssystem gerecht zu werden, sollen vor allem dort, wo es notwendig ist, Schweizer Studien im Vordergrund stehen. Je nach Themenfeld werden aber auch internationale Forschungsergebnisse dargelegt. Im Zentrum der Analyse sollen einerseits jene Faktoren stehen, auf welche die Lehrpersonen durch ihre Tätigkeit direkt Einfluss nehmen können. Andererseits finden auch die nicht-direkt beeinflussbaren Faktoren Einzug in die Studie, um den Lehrpersonen die ganze Palette an Fördermöglichkeiten - auch die ausserschulischen - aufzuzeigen und näher zu bringen. Schlussendlich erweitern auch diese Faktoren die interkulturelle Kompetenz der Lehrkräfte, welche für die Gestaltung von Unterricht in multikulturellen Klassen und die optimale, sprich gleichberechtigte Förderung von Kindern und Jugendlichen aus anderen Kultur- und Sprachkreisen unabdingbar ist. Da nach den neuesten Erkenntnissen aus der sozialpsychologischen und interkulturellen Forschung die Sprachförderung und insbesondere die Erstsprachförderung als wesentlicher Faktor des Schulerfolges von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund herausgeht (vgl. Müller 1997, Schader / Haenni Hoti 2006, Caprez 2007), wird dieser in der Studie besondere Berücksichtigung finden. Die Literaturstudie möchte somit den von vielen Seiten so oft erwähnten Schwierigkeiten in multikulturellen Schulen und Problemen mit 'Ausländerkindern' eine breite Palette von Fördermöglichkeiten und in der Schweiz vorhandene, alternative Modelle gegenüber stellen. Zudem sollen Vorurteile, Haltungen und wissenschaftlich nicht belegte 'Erkenntnisse' in Frage gestellt und zur pädagogisch-professionellen Differenzierung angeregt werden. [...]

1. Einleitung


Nino und ich haben uns im Kindergarten kennen gelernt. Während den

gemeinsamen Schuljahren waren wir Freunde geworden. Ninos Eltern stammten

aus Italien und sind, wie Tausende andere auch, in den 60-er Jahren der Arbeit

wegen in die Schweiz immigriert.

Als die Frage des Übertritts in die Oberstufe näher rückte, zeichnete sich immer

deutlicher ab, dass Nino die Realstufe besuchen wird, was für die Lehrperson und

auch für die meisten von uns Klassenkameraden klar war, schliesslich gehörte

Nino nicht zu den besten der Klasse. Ich übrigens auch nicht.

Die Eltern von Nino waren der Meinung, dass er die Sekundarstufe schaffen

werde und drängten auf den Übertritt in diese. Es kam zum Konflikt zwischen den

Eltern und der Lehrperson. Zum Übertritt kam es jedoch nicht. Die Eltern von

Nino beschlossen, nach Italien zurückzukehren. Zur Osterzeit verliess die Familie

die Schweiz in Richtung Sizilien.

Heute studiert Nino im 3. Jahr Mathematik und Informatik an der Universität von

Bologna.

Was ist hier schief gelaufen? Nichts, würden wohl einige Leser sagen, schliesslich endet die Geschichte mit einem Happy End. Dennoch habe ich mich öfters gefragt, welche Bildungsbiografie mein Freund durchlaufen hätte, wenn er und seine Familie hier in der Schweiz geblieben wären. Stände er heute in der Schweiz dort, wo er nun in Italien steht? Oder generalisiert betrachtet: Weshalb bringt es jemand im Land A „nur“ zur billigen Arbeitskraft, schafft es aber im Land B zum Mathematiker? Der geschilderte Fall zeigt die mögliche Tragweite eines Übertrittsentscheides auf und verdeutlicht die Problematik, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ihr Potential in der Volksschule nur ungenügend entfalten können. Diese Chancenungleichheit zeigt sich nicht erst seit PISA, welche die Benachteiligung der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf europäischer Ebene aufdeckte (vgl. Auernheimer 2003; Gogolin 2003). Bereits Lischer (1997) stellte fest, dass ausländische Kinder und Jugendliche in der obligatorischen Schule zunehmend einer härteren Selektion unterzogen und immer häufiger sonderpädagogisch betreut werden. Diese Tatsache widerspricht voll und ganz dem von der EDK 1991 erlassenen Grundsatz, „alle in der Schweiz lebenden fremdsprachigen Kinder in die öffentlichen Schulen zu integrieren. Jede Diskriminierung ist zu vermeiden. Die Integration respektiert das Recht des Kindes, Sprache und Kultur des Herkunftslandes

zu pflegen.“ (EDK 1991, zit. in Truniger, 1996, S. 127). Auch Truniger (1996, S. 133) stellte bei der Betrachtung des schweizerischen Bildungswesens fest, dass dieses sich zwar „bemüht, die Folgen der Immigration zu bewältigen“, sich bislang aber kein „wirklich multikulturelles Bildungskonzept bildungspolitisch durchgesetzt“ hat. Fakt ist und bleibt also auch weiterhin die Tatsache des stark gestiegenen Anteils von „Ausländerkindern“ in den Sonderschulen und deren Untervertretung in den anspruchsvollen Schulstufen.

Zur Verbesserung dieser Situation und der Klärung der Frage, welche Faktoren denn eigentlich zum Schulerfolg von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund beitragen, intensivierte die interkulturelle Pädagogik ihre Forschungstätigkeit. Der Fokus der Forschung wandelte sich dabei fortlaufend. In den 1980-er Jahren wurde vorwiegend der heute widerlegte Erklärungsansatz der „staatlichen Herkunft“ (Hopf 1987) untersucht. Durch die Feststellung, dass je nach dem, aus welchem Staat die Immigrantinnen und Immigranten emigriert waren, diese bessere oder schlechtere Schulleistungen erbrachten, gingen die Forscher davon aus, dass dies mit der staatlichen Herkunft zusammenhängen muss. Ende der 90-er Jahre schwenkte die Betrachtungsweise auf systemische Erklärungsansätze über. Untersucht wurden dabei frühe Selektionsmassnahmen und strukturelle Merkmale des Bildungssystems. Hierbei stellte sich heraus, dass schulischer Erfolg vielfach durch „institutionelle Diskriminierung“ (vgl. Moser/Rhyn 2000, Kronig 2000, Gomolla/Radtke 2002) verwehrt bleibt.

Andere Forscherinnen und Forscher hatten ihre Aufmerksamkeit auf die Betrachtung von gesellschaftlichen Aspekten wie der „sozialen Herkunft“ gelenkt (vgl. Hutmacher 1995, Houbé 1996, Müller 1997, Moser/Rhyn 2000, Donati/Mossi 2001) oder aber untersuchten den Bereich der Schulgestaltung. Dort eruierten sie Faktoren wie die „Haltung der Lehrperson“ (vgl. Jungbluth 1994, Weinert/Helmke 1996, Oelkers/Oser 2000, Kron