: Gabriele Metzler
: Das Andere denken Repräsentationen von Migration in Westeuropa und den USA im 20. Jahrhundert
: Campus Verlag
: 9783593420356
: Eigene und Fremde Welten
: 1
: CHF 35.30
:
: Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
: German
: 331
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Zuwanderung und ethnische Minderheiten prägten die westlichen Gesellschaften im 20. Jahrhundert. Aus Begegnungen mit den »Fremden« entstanden in Wissenschaft, Politik und Alltag Deutungen »des Anderen«, die in diesem Band thematisiert werden. Behandelt werden unter anderem juristische Diskurse über »Volksgruppen« in Österreich, die Wahrnehmung von Arbeitsmigranten in Deutschland oder die Veränderung von Sprache und Esskultur durch neue Einflüsse. Dabei werden sowohl die Selbstdeutungen und kulturellen Praktiken von Migranten als auch der Wandel in den »Aufnahmegesellschaften « in den Blick genommen.

Gabriele Metzler ist Professorin für Geschichte Westeuropas und der transatlantischen Beziehungen an der HU Berlin.
Einleitung

Gabriele Metzler

Die europäischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts waren »Gesellschaften in Bewegung«. Menschen verließen ihre Heimat, um sich vor kriegerischen Auseinandersetzungen in Sicherheit zu bringen; sie wurden zur Abwanderung gezwungen, weil irrwitzige, menschenverachtende Siedlungsprogramme dies vorsahen; oder sie suchten anderswo nach besseren Lebenschancen, nach Arbeit und Wohlstand. Erfahrungen mit diesen Formen und Ursachen von Migration waren im Europa des 20. Jahrhunderts nicht neu, sondern ließen sich über Jahrhunderte zurückverfolgen. Gleichwohl blieben Migranten und Migrantinnen in den Ankunftsgesellschaften die ?Fremden?, die ?Anderen?, die, wenn nicht als Bedrohung, so doch als Herausforderung der bestehenden Ordnung betrachtet wurden. Dies galt umso mehr für jene Zuwanderer aus Räumen außerhalb Europas, die im Gefolge der Auflösung der europäischen Kolonialreiche nach dem Zweiten Weltkrieg in wachsender Zahl den Kontinent erreichten und hier gerade die Gesellschaftsgeschichte von Staaten mit starker kolonialer Tradition (namentlich Großbritannien und Frankreich) prägten.

Historiker und Sozialwissenschaftler haben lange Zeit den gesellschaftlichen Wandel in Folge von Migration in der nüchternen Sprache demographischer Statistiken verhandelt. Sie haben nach der Entwicklung des Politikfeldes ?Einwanderungspolitik? gefragt und danach, wie Einbürgerungspolitik und Staatsangehörigkeitsrecht auf die sich wandelnden Gegebenheiten reagierten. Dafür, dass die Forschung dabei nicht selten auf zeitgenössische Zuschreibungen und Kategorien zurückgriff, wurden Historiker im Grunde erst im Zuge ihrer Öffnung gegenüber kulturwissenschaftlichen Zugängen sensibel, wie Imke Sturm-Martin in ihrem Beitrag zeigt. ?Immigrant? und ?Emigrant? sind solche Zuschreibungen; aber auch Bezeichnungen für ethnische Minderheiten und überhaupt die Kategorie ?Ethnizität? sind essentialistische Deutungen, die ein ?So-sein? absolut setzen und soziale und kulturelle Hierarchisierungen a priori in sich tragen. Dies gilt auch für vermeintlich positive, Migrantinnen und Migranten gegenüber aufgeschlossene politische Konzepte wie dasjenige des ?Multikulturalismus?, das in den 1990er Jahren eine kurze Blütezeit erlebte, inzwischen aber selbst kritisch hinterfragt wird. Sebastian Berg erhellt dies in seinem Beitrag am britischen Beispiel.

Aus der Verbindung von cultural turn und postkolonialen Perspektiven haben Historiker und Sozialwissenschaftler sich neue Sehweisen auf Migration und Migrationsgesellschaften angeeignet. Das kulturwissenschaftliche Konzept der ?Repräsentation? erweist sich als geeignetes Instrument, nach Konstruktionen von Weltsichten zu fragen. Repräsentationen sind Organisationsformen des Wissens, mit deren Hilfe Menschen die Welt, die sie umgibt, deuten und ihr Sinn verleihen; mit denen sie einander begegnen und die ihre Begegnungen vorstrukturieren. Menschen haben immer schon eine Vorstellung vom ?Anderen?, wenn sie dem ?Anderen? begegnen; und ohne ?das Andere? können sie ?das Eigene? gar nicht erkennen. In der Begegnung verändern sich Repräsentationen, und zwar immer sowohl vom ?Anderen? als auch vom ?Eigenen?. In diesem Sinne stellen Repräsentationen soziale Ordnung nicht nur dar, sondern sie stellen sie immer auch her. Das zeigt die Geschichte der westeuropäi

Inhalt6
Einleitung – Gabriele Metzler10
Grundlagen18
Wahlverwandtschaften/(s)elective affinities: Migranten und Migrationspolitik in der atlantischen Welt im 20. Jahrhundert – Imke Sturm-Martin20
Der kurze Frühling des britischen Multikulturalismus – Sebastian Berg36
Wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Migranten56
›Minderheiten‹ und ›Volksgruppen‹ in rechts- und staatswissenschaftlichen Diskursen in Österreich, circa 1918–1938 – Alexander Pinwinkler58
Macho Man? Repräsentationen mexikanischer Familienstrukturen durch Sozialexperten, Sozialarbeiter und Bürgerrechtsaktivisten in den USA, 1940–1980 – Claudia Roesch88
Von den dark strangers zum ›Subproletariat‹: Wissenschaftliche Deutungen der multiethnischen Gesellschaft in Großbritannien von den 1950er bis Anfang der 1970er Jahre – Reet Tamme120
Herstellung eines ›Wir‹ durch kulturelle Praxis156
»Ensemble nous sommes le Xe«: Pariser Stadtfeste als Bühnen für Selbst- und Fremdrepräsentationen im Migrationskontext – Monika Salzbrunn158
»Difficile de faire plus multiéthnique. Difficile de faire plus marseillais«: Zur Repräsentation von (Multi-)Ethnizität und Migration im französischen Rap der 1990er Jahre – Daniel Tödt182
»We will show the Royal Borough what West Indian culture is all about«: (Wieder-)Herstellung eines ›Wir‹ im Notting Hill Carnival vom Ende der 1970er bis zum Ende der 1980er Jahre – Sebastian Klöß210
Das Normale und das Andere: Aushandlung von Selbst- und Fremdbildern244
»Ich glaube aber, sie haben eingesehen. . . «: Die spanischen Arbeitnehmer als Objekte der politischen Beeinflussung durch die bundesdeutschen Gewerkschaften in den 1960er Jahren – Johanna Drescher246
»Unsere und deren Komplexe«: Italiener in Wolfsburg – Berichte, Darstellungen und Meinungen in der lokalen Presse (1962–1975) – Grazia Prontera262
Kultureller Transfer durch Migration: Die Adaption kultureller Praktiken durch die »Host«-Gesellschaft282
Anders essen in der Bundesrepublik: Begegnungen im ausländischen Spezialitätenrestaurant – Maren Möhring284
Chicano English und Kiez-Sprache: Sprachvielfalt und Sprachwandel? – Inke Du Bois302
Autorinnen und Autoren328