Einleitung Gabriele Metzler Die europäischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts waren »Gesellschaften in Bewegung«. Menschen verließen ihre Heimat, um sich vor kriegerischen Auseinandersetzungen in Sicherheit zu bringen; sie wurden zur Abwanderung gezwungen, weil irrwitzige, menschenverachtende Siedlungsprogramme dies vorsahen; oder sie suchten anderswo nach besseren Lebenschancen, nach Arbeit und Wohlstand. Erfahrungen mit diesen Formen und Ursachen von Migration waren im Europa des 20. Jahrhunderts nicht neu, sondern ließen sich über Jahrhunderte zurückverfolgen. Gleichwohl blieben Migranten und Migrantinnen in den Ankunftsgesellschaften die ?Fremden?, die ?Anderen?, die, wenn nicht als Bedrohung, so doch als Herausforderung der bestehenden Ordnung betrachtet wurden. Dies galt umso mehr für jene Zuwanderer aus Räumen außerhalb Europas, die im Gefolge der Auflösung der europäischen Kolonialreiche nach dem Zweiten Weltkrieg in wachsender Zahl den Kontinent erreichten und hier gerade die Gesellschaftsgeschichte von Staaten mit starker kolonialer Tradition (namentlich Großbritannien und Frankreich) prägten. Historiker und Sozialwissenschaftler haben lange Zeit den gesellschaftlichen Wandel in Folge von Migration in der nüchternen Sprache demographischer Statistiken verhandelt. Sie haben nach der Entwicklung des Politikfeldes ?Einwanderungspolitik? gefragt und danach, wie Einbürgerungspolitik und Staatsangehörigkeitsrecht auf die sich wandelnden Gegebenheiten reagierten. Dafür, dass die Forschung dabei nicht selten auf zeitgenössische Zuschreibungen und Kategorien zurückgriff, wurden Historiker im Grunde erst im Zuge ihrer Öffnung gegenüber kulturwissenschaftlichen Zugängen sensibel, wie Imke Sturm-Martin in ihrem Beitrag zeigt. ?Immigrant? und ?Emigrant? sind solche Zuschreibungen; aber auch Bezeichnungen für ethnische Minderheiten und überhaupt die Kategorie ?Ethnizität? sind essentialistische Deutungen, die ein ?So-sein? absolut setzen und soziale und kulturelle Hierarchisierungen a priori in sich tragen. Dies gilt auch für vermeintlich positive, Migrantinnen und Migranten gegenüber aufgeschlossene politische Konzepte wie dasjenige des ?Multikulturalismus?, das in den 1990er Jahren eine kurze Blütezeit erlebte, inzwischen aber selbst kritisch hinterfragt wird. Sebastian Berg erhellt dies in seinem Beitrag am britischen Beispiel. Aus der Verbindung von cultural turn und postkolonialen Perspektiven haben Historiker und Sozialwissenschaftler sich neue Sehweisen auf Migration und Migrationsgesellschaften angeeignet. Das kulturwissenschaftliche Konzept der ?Repräsentation? erweist sich als geeignetes Instrument, nach Konstruktionen von Weltsichten zu fragen. Repräsentationen sind Organisationsformen des Wissens, mit deren Hilfe Menschen die Welt, die sie umgibt, deuten und ihr Sinn verleihen; mit denen sie einander begegnen und die ihre Begegnungen vorstrukturieren. Menschen haben immer schon eine Vorstellung vom ?Anderen?, wenn sie dem ?Anderen? begegnen; und ohne ?das Andere? können sie ?das Eigene? gar nicht erkennen. In der Begegnung verändern sich Repräsentationen, und zwar immer sowohl vom ?Anderen? als auch vom ?Eigenen?. In diesem Sinne stellen Repräsentationen soziale Ordnung nicht nur dar, sondern sie stellen sie immer auch her. Das zeigt die Geschichte der westeuropäi |