: Richard Price
: Cash Roman
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104026626
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 528
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die literarische Sensation Drei Männer werden nachts in der Lower East Side von zwei dunkelhäutigen Jugendlichen überfallen. Einer der drei wird erschossen, die Täter fliehen. Der Hauptzeuge, Eric, verstrickt sich bei der Polizei immer tiefer in Widersprüche. Detective Matty Clark kommen jedoch bald Zweifel an seiner Schuld. Richard Price lässt in seinem hymnisch gefeierten Bestseller die Fassade des strahlenden, ?neuen? New Yorks bröckeln und zeigt die dahinter liegenden Risse, die unter dem Glamour verborgene Macht und Gewalt. »Cash« ist ein Röntgenblick auf die Lower East Side, ein großer Roman von einem meisterhaften Gegenwartschronisten.

Richard Price wurde 1949 in der Bronx geboren. Sein Roman »Cash« war »SPIEGEL«-Bestseller und auf Platz 1 der KrimiWelt-Bestenliste. Für seinen Roman »Die Unantastbaren« wurde er mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet. Price verfasste zahlreiche Drehbücher für Filme von und mit Martin Scorsese, Al Pacino und Paul Newman. 2007 gewann Price den Edgar Award für seine Arbeit an der hoch gelobten TV-Serie »The Wire«, für die er monatelang bei der Polizei recherchierte. Er lebt in Harlem, New York.

1Wumme


Um zehn Uhr morgens verließ Eric Cash, fünfunddreißig, seine Wohnung in der Stanton Street, steckte sich eine Zigarette an und ging zur Arbeit.

Als er vor acht Jahren her zog, war ihm die Lower East Side verwunschen vorgekommen, und hin und wieder konnte ihn, wie heute, ein schlichter Spaziergang noch immer bezaubern, Spuren überall der jiddischen Boomtown des neunzehnten Jahrhunderts: in der klaustrophobischen Enge der Straßenschluchten mit ihren hängenden Gärten aus uralten Feuertreppen, in den verwitterten Steinsatyrn, die lüstern zwischen den angenagten Fensterrahmen über der Erotic Boutique herabfeixten, in dem verblichenen hebräischen Schriftzug über der alten sozialistischen Kantine, die einem asiatischen Massagesalon gewichen war, der dem Szenetreff für Kids gewichen war; das und mehr in den vier Blocks auf Erics täglichem Weg zur Arbeit. Nach knapp einem Jahrzehnt in diesem Viertel, selbst an einem solch sonnendurchfluteten Oktobermorgen, erschien ihm dieses ganze ethnohistorische Mischmasch allerdings langsam etwas gestrig. Genau wie er.

Eric war ein jüdischer Upstate New Yorker, fünf Generationen entfernt von hier, aber er wusste, wo er war, er verstand den Witz; das laboratorio dei gelati, die tibetischen Hutläden, Forsyth House88 mit seinen originalgetreu restaurierten Kaltwasserwohnungen, die sich nicht allzu sehr von den unrestaurierten Mietwohnungen um sie herum unterschieden, und in seiner Funktion als Geschäftsführer im Café Berkmann, dem Flaggschiff des Wir-sind-dabei, war er, an den seltenen Tagen, da das Biest ein Nickerchen einlegte, gern Teil der Pointe.

Was ihn an dieser Gegend allerdings wirklich packte, war nicht ihre nostalgische Ironie, sondern ihr Jetzt, ihr unbedingtes Hier und Jetzt, das ihn im Innersten antrieb, ein Verlangen, es zu schaffen, das durch seine vollkommene Ahnungslosigkeit, wie dieses »Es« auszusehen hatte, um ein Vielfaches verschärft wurde.

Er hatte keine besondere Begabung oder Neigung, schlimmer noch, eine gewisse Begabung, eine vage Neigung: Er spielte die Hauptrolle in einer vor zwei Jahren vom Forsyth House88 gesponserten Kellertheater-Produktion desDybbuk, seine dritte kleine Rolle seit dem College, und hatte in einem inzwischen eingegangenen Alphabet-City-Literaturblättchen eine Kurzgeschichte veröffentlicht, seine vierte in zehn Jahren, wobei nichts davon irgendwo hinführte. Und diese unerfüllte Sehnsucht nach eigenen Meriten machte es ihm praktisch unmöglich, einen Film anzusehen, ein Buch zu lesen oder auch nur ein neues Restaurant auszuprobieren – sämtlich Errungenschaften von Gleichaltrigen oder Jüngeren –, ohne mit dem Schädel voran gegen die nächste Wand laufen zu wollen.

Zwei Blocks von seinem Arbeitsplatz entfernt stutzte er, als er zu einer träge kriechenden Prozession aufschloss, die sich weiter, als sein Auge reichte, nach Westen die Rivington Street hinaufschlängelte. Was immer das war, es hatte nichts mit ihm zu tun, in der Schlange standen überwiegend Latinos, höchstwahrscheinlich aus den unsanierten Wohnungen unterhalb der Delancey und dem halben Dutzend unsterblicher Sozialbausiedlungen, die dies hier, das goldgelbe Herz der Lower East Side, umfingen wie ein Jai-Alai-Wurfkorb. Alle, darunter viele Kinder, wirkten herausgeputzt wie für den Kirchgang oder irgendeinen religiösen Feiertag.

Eric konnte sich auch nicht vorstel