: Eberhardt Hofmann
: Verhaltens- und Kommunikationsstile Erkennen und optimieren
: Hogrefe Verlag GmbH& Co. KG
: 9783844423464
: 1
: CHF 15.90
:
: Lebenshilfe, Alltag
: German
: 214
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Viele Menschen stolpern in zwischenmenschlichen Situationen immer wieder über die gleichen Schwierigkeiten, sie zeigen dann einen für sie typischen Verhaltens- und Kommunikationsstil. Insbesondere in Stresssituationen werden unser Verhalten und unsere Kommunikation stark von Automatismen geprägt, die uns oftmals selbst verborgen bleiben. Wir folgen einer »Notfallregel«, die wir sehr früh im Leben entwickelt und später nicht mehr angemessen korrigiert haben. Das Buch liefert eine Anleitung zur Identifizierung der eigenen wie auch der Notfallregel von Interaktionspartnern. Ist man sich seiner individuellen wiederkehrenden Interaktionsmuster einmal bewusst, können diese auf ihre Alltagstauglichkeit hin überprüft und, falls notwendig, optimiert werden. Die Optimierung geschieht am besten mit Hilfe von Verhaltensexperimenten, also dem Ausprobieren verschiedener Verhaltensweisen in zwischenmenschlichen Situationen. Wie solche Verhaltensexperimente und spezielle kommunikative Übungen im Alltag durchgeführt werden können, wird ausführlich dargestellt. Das Buch liefert damit zahlreiche Anregungen, wie der eigene Handlungsspielraum erweitert, zwischenmenschliche Beziehungen positiver gestaltet und interpersonelle Konflikte besser gelöst werden können.

1  Verschiedene Mechanismen der Verhaltenssteuerung


Um die Mechanismen der Selbstoptimierung und die zentralen Aspekte der zwischenmenschlichen Interaktion verstehen zu können, muss man die dabei relevanten Wege der Verhaltenssteuerung kennen. Unser Verhalten wird von relativ wenigen kybernetischen Prozessen gesteuert, die im Gehirn systematisch und konstant ablaufen, so als ob dieses programmiert worden wäre. Jedes Gehirn enthält dabei auch einige Fehlprogrammierungen, die zu fehlerhaftem Verhalten in kritischen Momenten führen können. Man trifft dann z. B. Fehlentscheidungen, die hätten verhindert werden können. Unser Verhalten wird weitgehend vom Gehirn gesteuert, daher braucht man etwas Hintergrundwissen zum Aufbau des Gehirns, um die relevanten Steuerungsarten zu verstehen. Das erste Kapitel vermittelt schwerpunktmäßig dieses notwendige Wissen. Zum Verständnis der Steuerungsmechanismen benötigt man zusätzlich noch psychologisches Wissen, das im nachfolgenden Kapitel vermittelt werden soll.

Im Bezug auf zwischenmenschliche Interaktionen wird häufig davon ausgegangen, dass die Kommunikation das zentrale Thema sei, um effizienter handeln zu können. Dass dies zu kurz gegriffen ist, merken wir spätestens dann, wenn wir unsere kommunikativen Fähigkeiten absolut perfekt gemacht haben. Denn was macht ein Mensch, bevor er seinen Mund aufmacht? Was er innerlich an Gedanken und Plänen produziert, bevor er mit der Kommunikation beginnt, ist das Eigentliche. Die Art der Kommunikation ist natürlich bedeutsam, sie ist jedoch eher ein Folgeprodukt vorgelagerter Prozesse als ein eigenständiges Phänomen. Um die für die Verhaltenssteuerung relevanten Prozesse zu verstehen, muss man zunächst wissen, welche Funktionssysteme die menschliche Psyche beinhaltet.

1.1  Die Funktionssysteme der Psyche


Der Mensch verfügt grundsätzlichüber zwei unterschiedliche Funktionssysteme zur Steuerung von Verhalten und Entscheidungen:über ein bewusstes System undüber ein„autonomes“ Verarbeitungssystem. In diesem Zusammenhang vermeide ich den Begriff„unbewusst“, weil er sehr oft durch die Nähe zu psychoanalytischen Ideen mit Begriffen wie„Verdrängung“,„triebhaft“,„primitiv“,„unberechenbar“ etc. assoziiert wird. Das Unbewusste wird aus einer solchen Perspektive heraus oft als eine Art Rumpelkammer der Psyche verstanden. Im Gegensatz dazu sollen hier„autonome psychische Prozesse“ als Funktionen verstanden werden, die ausÖkonomiegründen automatisch ablaufen, ohne dass sie ständig mit Aufmerksamkeit belegt sein müssen. Es wäre katastrophal, wenn man sich immer und vollständig dessen bewusst wäre, was gerade im Körper abläuft. Man würde dann z. B. die Muskelspannung wahrnehmen, die in den verschiedenen Muskelgruppen nötig ist, um ein Buch in der Hand zu halten. Man würde auch wahrnehmen, wie die Körpertemperatur konstant gehalten wird.Ähnlich würde es sich beim Lesen selbst verhalten: Beim Lesen dieser Sätze würde man sich darüber bewusst sein, wie einzelne Linien Buchstaben bilden und diese zu Worten zusammengesetzt werden. Ebenso wäre man sich der Tatsache bewusst, dass die einzelnen Buchstaben im Wortverbund anders ausgesprochen werden als einzeln: Ein„Z“ wird im Wortverbund nicht als„Zett“ ausgesprochen. Wir wären uns ständig der Grammatik bewusst, mit der einzelne Worte zu Sätzen zusammengefügt werden, damit sie einen Sinn ergeben usw. Wenn uns das alles ständig bewusst wäre, bräuchten wir entweder eine ungeheure Verarbeitungskapazität oder wir wären gar nicht mehr lebensfähig. Es wäre darüber hinaus sehr unökonomisch, ständig Wahrnehmungen präsent zu halten, die für das, was im Moment passiert, nicht notwendig sind. Unter„autonom“ verstehe ich daher diejenigen Prozesse, bei denen Funktionsweisen„im Hintergrund“ ablaufen, ohne dass der Scheinwerfer des Bewusstseins im Moment gerade auf sie gerichtet ist. Eine Analogie für den Dualismus„bewusst– autonom“ stellt auch der Gebrauch eines Computers dar. Für den Benutzer des Computers ist nur das relevant, was er auf seinem Bildschirm sieht. Alles, was eigentlich in der Software abläuft, ebenso wie die gesamte Hardware, ist für die effiziente Benutzung des Computers zumindest so lange irrelevant, wie das Programm einwandfrei funktioniert. Ist dies jedoch einmal nicht der Fall, so kann man immer noch in die einzelnen Menüs gehen oder die Betriebsanleitung lesen, im Notfall sogar zu einem Spezialisten gehen, der sich mit den speziellen Funktionsweisen besser auskennt. Die Notwendigkeit, sich tiefer in die Funktionalität einzudenken, ergibt sich jedoch immer erst im Ausnahmefall, der Normalfall, die Routine, läuft rein auf der Benutzeroberfläche ab.

Unbewusst in dem hier verwendeten Sinne sind also

  • unterschwellige Wahrnehmungen,

  • Wahrnehmungen außerhalb des Aufmerksamkeitsfokus,

  • alle gedanklichen und emotionalen Prozesse, die vor der Ausreifung der Großhirnrinde (am Ende der Pubertät) ablaufen,

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