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Ich konnte mich an diesem späten Dienstagmorgen an nichts mehr erinnern. Seit gestern war ich fünfunddreißig. Ich hatte mich volllaufen lassen. Allein, wie ich dachte, bis ich vor dem Klo in Panik geriet. So sehr ich auch presste, kein Tropfen traf die Schüssel. Ging der Suff mir nun doch schon an die Grundausstattung? Ab jetzt Katheter, nur noch durchs Schläuchle ins Tütchen?
Nicht möglich. Abgesehen von diesen rituellen Besäufnissen an meinen Geburtstagen war ich seit drei Jahren trocken.
Ich wischte die Wampe beiseite, wagte einen Blick nach unten und sah das Kondom. Auf meiner Stirn befand sich ein Herz und diese liegende Acht, das mathematische Zeichen für Unendliches. Tätowiert!
Nein, nur Kugelschreiber.
Aber wer. Wer?!
Hatte Jessi nun doch vor der Verblödung ihresMartinchens kapituliert und war zu mir zurückgekommen?
Unwahrscheinlich. Jessica hatte ich der Kunst geopfert und zwar gründlich. Damals war ich noch so hemmungslos jung, dass ich glaubte, ich besäße so etwas wie Talent. Ich bewarb mich an mehreren Kunsthochschulen und wurde in aller Pracht abgelehnt. Ich probierte es als Autodidakt. Fotografie. Wie damals alle Trägen und Begabungslosen, die trotzdem bewundert werden wollten. Mit einer geborgten Kamera knipste ich Jessicas Blumenkasten. Sie pflegte den Brauch, die Nassrasierer ihrer Ex-Männer in die Muttererde zu stecken. Ich nannte das Bild »Metamorph EinskommaPie«, weil ich auch das für Kunst hielt. Meine Motivsuche fand die Arschkimme fetter Männer beim Reifenwechsel, einen Eierbecher voller Zehennägel, ein Gesteck von Tampons im Kartoffelbrei (»Kopf Jesu Christ«) sowie eine Wasserleiche im Halbprofil und schließlich mich selbst – zentral gehängt – als onanierender Fossibär. Den Rest der Wand füllte ich mit Jessicas Nacktfotos auf. Zu hoffnungsblöde um Grenzen der Peinlichkeit zu kennen, lud ich auf benutztem Toilettenpapier zur Vernissage, kaufte eine Lederhose und ließ das Hemd darüber hängen. Nach der Ausstellung war ich so isoliert, dass ich meinen Anrufbeantworter gegen zwei Pornos und einen halben Kasten Bier tauschen konnte. Ich schaffte es noch nicht einmal in Jessicas Blumenkasten. Nein, Jessica und die Kunst moderten schon in den tieferen Sedimentschichten meiner Vergangenheit.
Wer dann? Meine zwei Zimmerchen mochten keine Frauen. Sie hielten sich stur in einem Zustand, der alles Weibliche nur zu Putz- und Fluchtimpulsen animierte. Wenn aber doch? Wenn es da draußen tatsächlich eine Frau gab, die so infektionsverachtend, so verzweifelt oder – (Herr Kornblum, nun mal nicht ulkig) – soverliebt war, um mir für die Nacht in die Suhle zu folgen? Wie musste sie sein, diese Frau? Eine Krankenschwester oder Nutte? Eine Altenpflegerin? Jemand, den schon beruflich kein menschlicher Bodensatz mehr schrecken konnte? War ich gestern eingeliefert worden? Hatten ein Helfersyndrom und ein paar Mutterinstinkte mich in der Stabilen Seitenlage erwischt? Wirkte ich im Koma anziehend auf Frauen?
Dem widersprach, dass ich Kondom trug. Meine Hilflosigkeit war also im Rahmen geblieben.
Weiter! Schritt für Schritt zurück! Irgendwo am Wegesrand würde sie aus dem Nebel auftauchen, die herrliche Schnalle.
Also gestern. Montag. Wie war das?
Der Vormittag ging für Ronnys Gerüstbaufirma drauf. Der Nachmi