: Jean Wiersch
: Haveljagd
: Prolibris Verlag
: 9783954750429
: 1
: CHF 7.80
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 220
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Werner Michaelis, ehemaliger Chefredakteur, will seinen alten Schulfreund besuchen - und findet ihn und seine Frau tot in ihrem Bett. Der Ehemann hält die Waffe noch in der Hand. Erweiterter Suizid, nennt es die Polizei. Michaelis glaubt nicht an Selbstmord und beginnt zu recherchieren. Er stößt auf eine heiße Spur, die auch Kommissar Manzetti überzeugt, sich an den Ermittlungen zu beteiligen. Noch ahnen beide nicht, in welches kriminelle Netz übelster menschlicher Ausbeutung sie eingedrungen sind... Jean Wiersch greift erneut in der bekannt spannend-unterhaltsamen Weise ein brisantes gesellschaftliches Thema auf.

Jean Wiersch, Jahrgang 1963, lebt mit seiner Frau inmitten der Mark Brandenburg, am Ufer des wunderschönen Beetzsees. In der wasser- und waldreichen Region westlich von Berlin spielen auch seine bislang fünf Kriminalromane, die bereits im Titel einen deutlichen Bezug zu seiner Heimat tragen, der Havel: Havelwasser, Havelsymphonie, Haveljagd, Havelgeister und Havelbande. Seit 1994 gehört Jean Wiersch der Polizei des Landes Brandenburg an. Privat widmet er sich zusammen mit seiner Frau seiner zweiten großen Liebe, die den Menschen und Bergen Südtirols gilt. Als ausgesprochene Genussmenschen, die hier ihre Lieblingsspeise - Schlutzkrapfen - entdeckt haben, verbringen sie nach dem Wandern viel Zeit bei Rotwein und klassischer Musik.

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Werner Michaelis hielt den Fahrradlenker krampfhaft umklammert, als müsste er ihn gegen eine Jugendgang verteidigen. Dabei wollte er nur verhindern, dass sein Vorderrad, durch die vielen Rillen im Pflaster der Steinstraße irregeführt, so mir nichts dir nichts in die Straßenbahnschienen rutschte, was mit ziemlicher Sicherheit zum Sturz geführt hätte.

Nur nicht nach links oder rechts in die Auslagen der Geschäfte sehen, forderte er mit strenger Stimme von sich selbst, sondern immer schön geradeaus, besser noch, nur einen Meter weit. Jedenfalls wollte er das tun, solange der Streifenwagen hinter ihm herschlich. Bestimmt warteten die bloß darauf, dass er die Nerven verlor und auf den Gehweg abbog, was ihn sofort zehn Euro gekostet hätte. Dein Freund und Helfer.

Aber kurz vor dem Steintorturm, er hatte die holprige Straße fast hinter sich, setzte sich der Streifenwagen plötzlich neben ihn, und der Beifahrer ließ sein Fenster herunter.

»Warum fahren Sie denn nicht auf dem Gehweg? Ist viel sicherer als auf der Holperpiste hier, und sonntags früh um sieben ist doch sowieso niemand da, den Sie stören könnten.« Dann winkte der Polizist freundlich, und sein Kollege gab Gas.

Na prima, dachte Michaelis. Hätte euch das nicht schon in Höhe des Kinos einfallen können? Da hätte es sich wenigstens noch gelohnt, jetzt aber musste er sowieso abbiegen.

Menschenleere Straßen. Er fuhr zum Theaterpark, dort über die kleine Brücke, die durch die Initiative einiger Mitglieder der Brandenburger Symphoniker in neuem Glanz erschien. Endlich hielt er vor dem Haus in der Grabenstraße, in dem er seit über zehn Jahren sein Zuhause hatte.

In der Glasfläche der Eingangstür betrachtete er sein Spiegelbild, das heute Morgen so ganz anders aussah, als noch gestern Abend. Eine kleine Veränderung nur, aber mit großer Wirkung. Rechts neben der Nasenwurzel leuchtete ein tiefviolettes Veilchen, mit dessen Betrachtung er sich nicht weiter aufhalten wollte.

Im Hausflur lehnte er das Fahrrad gegen die Wand. Dann nahm er hinter sich Schritte wahr, und als er sich umdrehte, sah er auf den letzten Stufen der Treppe die alte Frau Meier aus dem dritten Stock. Eine ehemalige Schaffnerin, längst pensioniert, aber immer noch mit jener Freundlichkeit ausgestattet, von der sie durch ihr Berufsleben getragen worden war.

»Das ist aber hier kein Fahrradschuppen«, quakte sie, raffte den Morgenmantel vor der Brust zusammen und zog mit der anderen Hand das Brandenburger Wochenblatt aus dem Briefkasten. »Je oller, je doller«, setzte sie noch mit einem Blick auf sein lädiertes Auge hinzu, bevor sie wieder im Treppenhaus verschwand.

»Ich wünsche Ihnen auch einen guten Morgen, Frau Meier«, rief er ihr nach. Und nun? Eigentlich war er hundemüde, aber der Alten war alles zuzutrauen, auch, dass sie sich in zehn Minuten an seinen Ventilen vergriff. Also schob er das Rad auf den Hof und stellte es in den Fahrradständer.

Plötzlich stieg ihm der Geruch abgebrannter Holzkohle und alten Fettes in die Nase, und ein Blick hinter den Mauervorsprung offenbarte, woher der kam. Dort stand Olivers Grill. Sein Nachbar in der kleinen Pension im vierten Stock war der einzige, der hier regelmäßig zu Barbecue-Abenden einlud. Michaelis hielt seine Hand über die Asche und konnte deutlich die Restwärme spüren. Also lag Oli, der Vollzeitmusiker, noch nicht lange im Bett und würde frühestens am späten Nachmittag, vielleicht aber auch erst am Abend aus seinem Zimmer geschlichen kommen. Und da die