: Hanno Millesi
: Granturismo
: Luftschacht Verlag
: 9783902844095
: 1
: CHF 13,50
:
: Erzählende Literatur
: German
: 232
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Während ein kleiner Angestellter eine krisenbedingte berufliche Freistellung dazu nützt, sich den lebenslang gehegten Traum von jenem Aufbruch ohne ein bestimmtes Ziel, jener Reise um des Reisens willen, zu erfüllen, für die er bislang weder Zeit noch Mut aufgebracht hat, schickt ihn ein Schriftsteller als Hauptfigur seines Prosatextes auf eben jene große Fahrt. Von diesem Moment an werden die Fährnisse des einen zu Unannehmlichkeiten für den anderen. Ihre Wege kreuzen sich: Versiegt die Reiselust, wird die Romanfigur unbrauchbar, lässt der Hunger nach Abenteuern nach, liegt das mitunter an der Erfindungsgabe des Autors. Granturismo erzählt vom Entstehen und Scheitern eines Reiseromans. Wir begleiten den Protagonisten auf den skurrilsten Passagen seiner Fahrt, werden Zeugen überraschender Begegnungen und folgenschwerer Irrtümer. Ob mit todesverachtenden Liebespaaren, Seelenverkäufern mit angeknackstem Selbstbewusstsein oder längst verstorbenen Personen konfrontiert, sobald sich der Reisende gezwungen sieht, eine Atempause einzulegen, wendet sich sein Erfinder der eigenen Umgebung zu und avanciert auf diese Weise zum Helden einer ganz anderen, seiner 'eigenen' Geschichte, die immer lebendigere Ausmaße annimmt.

Hanno Millesi, geb. 1966, studierte an der Universität Wien und der Hochschule für Angewandte Kunst Wien. Lebt in Wien.

Möchten Sie ein Glas Wasser, will jemand wissen, der sich offenbar hinter dem Angestellten befindet, und es ist weniger die Frage, die diesen überrascht, als vielmehr, dass ihm beim Betreten des Büros außer dem Vorgesetzten niemand aufgefallen ist. Für ein Umdrehen ist es mittlerweile zu spät, er hat schon Platz genommen, und ein nachträgliches Umdrehen würde bedeuten, ihm unterlaufe die erste Unaufmerksamkeit zuweilen bereits, ehe eine Unterhaltung Gelegenheit hat, in die Gänge zu kommen. Besser gar nicht erst reagieren, denkt der Angestellte, möglicherweise eine mit einem Termin in einem Büro wie diesem untrennbar verbundene Floskel. Wer darauf hereinfällt, gibt sich als unerfahren zu erkennen, als Freiwild, mit dem ein Vorgesetzter während des folgenden Gesprächs leichtes Spiel haben wird. Wahrscheinlich befindet sich ein Knopf an der Unterkante seines Schreibtischs, auf den gedrückt die Frage nach einem Glas Wasser ausgesprochen wird. Vielleicht vom Mund einer der Figuren auf dem Gemälde, an dem sein Blick beim Hereinkommen vorbei hatte müssen. Auf diese Weise soll an ein Prinzip der Fürsorge erinnert werden, das in einem abgelegenen Seitenflügel der breit gefächerten Aura des Vorgesetzten dahinvegetiert; unabhängig davon, dass dieses Prinzip auf eine Schwachheit abzielt. Auf den riesigen Fensterscheiben hinter dem Schreibtisch kleben die Silhouetten von Greifvögeln. Lässt sie ein bestimmtes Zeichen auf die zur Beute erklärte Person herabstürzen? Kreisen sie bereits über jenem Kadaver, der man sein wird, sobald der Vorgesetzte die Unterhaltung für beendet erklärt?

Statt etwas zu erwidern richtet der Angestellte seine gesamte Aufmerksamkeit auf den Vorgesetzten und stellt fest, dass dieser aus zwei riesigen Augen besteht. In und auf den Gängen, Stiegenhäusern und gelegentlichen Feierlichkeiten des Un