Diese zwanghafte Beschäftigung mit »ich«, »mir« und »mein« hat nichts mit Selbstliebe zu tun … Selbstliebe verweist uns auf Fähigkeiten wie Belastbarkeit, Mitgefühl und inneres Verständnis, die einfach zum Leben dazugehören.
Sharon Salzberg
Wie viele Menschen fühlen sich in unserer so unglaublich wettbewerbsorientierten Gesellschaft wirklich wohl in ihrer Haut? Es scheint so etwas Flüchtiges zu sein – sich wohl zu fühlen –, zumal wir meinen, wir müssten uns alsganz besonders undherausragend empfinden, um uns als wertvoll zu betrachten. Alles, was hinter derlei Superlativen zurückbleibt, hat einen fahlen Beigeschmack des Versagens. Ich erinnere mich beispielsweise noch gut daran, wie ich zu Beginn meines Studiums einmal Stunden damit zugebracht hatte, mich für eine riesige Party zurechtzumachen, nur um anschließend meinem Freund vorzujammern, dass meine Frisur, mein Make-up und meine Kleidung einfach nur erbärmlich aussahen.
»Keine Sorge, du siehst doch ganz gut aus«, versicherte er mir.
»Ganz gut? Na toll, das hab ich mir ja immer gewünscht,ganz gut auszusehen …«
Der Wunsch, sich als etwas Besonderes zu fühlen, ist verständlich. Das Problem liegt nur darin, dass wir nicht alle gleichzeitig aus der Masse herausragen können. Auch wenn wir uns auf die eine oder andere Weise auszeichnen, gibt es doch immer jemanden, der klüger, attraktiver oder erfolgreicher ist. Wie kommen wir damit zurecht? Im Allgemeinen nicht besonders gut. Um uns selbst positiv zu sehen, blähen wir meist unser Ego auf und setzen andere herab, damit wir uns im Vergleich zu ihnen besser fühlen können. Aber diese Strategie hat ihren Preis – sie hindert uns daran, unser volles Potenzial im Leben zu verwirklichen.
Wenn ich das Gefühl haben muss, besser zu sein als Sie, um mich in meiner Haut wohl zu fühlen, wie realistisch werde ich Sie oder auch mich selbst dann wirklich einschätzen? Angenommen, ich hätte einen anstrengenden Arbeitstag gehabt, wäre mürrisch und reizbar, wenn mein Mann später heimkommt (natürlich rein hypothetisch). Falls es mir vor allem um ein positives Selbstbild geht und ich kein Risiko eingehen will, mich in einem negativen Licht zu sehen, könnte meine Interpretation der Ereignisse in eine Schieflage geraten, um sicherzugehen, dass irgendwelche Reibungen zwischen meinem Mann und mir ihm und nicht mir angelastet werden können:
»Toll, da bist du ja! Hast du die Einkäufe erledigt, um die ich dich gebeten hatte?«
»Du, ich komme gerade erst zur Tür herein. Wie wär’s denn mit einem Satz wie ›Schön, dich zu sehen, Schatz, wie war dein Tag?‹ oder so?«
»Wenndu nicht so vergesslich wärst, müsste ich dir vielleicht nicht ständig so auf die Nerven gehen.«
»Stell dir vor, ich war tatsächlich einkaufen!«
»Oh … na ja, gut … Ausnahmen bestätigen halt die Regel. Wenn du doch nur nicht so unzuverlässig wärst.«
Eine Konversation nach diesem Muster wird wohl kaum das Rezept für eine glückliche Beziehung sein.
Warum fällt es uns so schwer zuzugeben, dass wir uns schlecht benommen haben, unhöflich oder ungeduldig waren? Weil unser Ego sich sehr viel besser fühlt, wenn wir unsere Fehler und Unzulänglichkeiten auf jemand anderen projizieren:Es ist dein Fehler, nicht meiner. Denken Sie nur an all die Streitigkeiten und Auseinandersetzungen, die sich aus dieser schlichten Dynamik ergeben. Jeder schiebt dem anderen die Schuld in die Schuhe und rechtfertigt das eigene Handeln, als würde unser Leben davon abhängen, obwohl wir doch tief im Innersten wissen, dass immer zwei dazu gehören. Wie viel Zeit verschwenden wir auf diese Weise? Wäre es nicht wesentlich besser, wenn wir unsere Schwächen einfach zugeben und uns fair verhalt