: Jörg-Uwe Albig
: Ueberdog Roman
: Tropen
: 9783608103564
: 1
: CHF 14.30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 223
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Stella kennt sich aus in der High Society. Als Gesellschaftsfotografin lichtet sie die Reichen und Schönen ab. Sie geht auf ihre Feste und sucht sehnsüchtig ihre Nähe. Als sie einer Gruppe von Obdachlosen begegnet, die wie aus dem Nichts auf einer Party aufkreuzen, glaubt sie, den wahren Glamour entdeckt zu haben. Mit dem Finger auf dem Auslöser ihrer Kamera folgt sie ihnen - und verliert sich in ihrer Welt.

Jörg-Uwe Albig, geboren 1960 in Bremen, studierte Kunst und Musik in Kassel, war Redakteur beim Stern und lebte zwei Jahre als Korrespondent einer deutschen Kunstzeitschrift in Paris. Seit 1993 arbeitet er als freier Autor in Berlin. 1999 wurde sein Romandebüt »Velo« veröffentlicht. Es folgten die Romane »Land voller Liebe«, »Berlin Palace«, »Ueberdog«, »Zornfried« und zuletzt das Sachbuch »Moralophobia«.

DER ENGEL ORDNUNGEN


Wer den Engeln nahe ist, braucht nichts mehr zu beweisen. Er ist gerechtfertigt vor Gott und der Welt. Das ahnte ich schon in meiner Jugend, die schwarz war und voller Angst, in dem Jahr, als ich fünfzehn war, verklemmt und bis zur Einsamkeit arrogant.

Zuerst war mir mein Engel auf dem Fernsehschirm erschienen. Er verkörperte sich in dem kleinen, tragbaren Klotz auf meiner Kommode, der nur mir gehörte; in meinem persönlichen Kanal zur Welt. Der Engel erschien immer nur für drei, vier, fünf Minuten, doch bald erschien er mir überall. Seine Stimme drang, immer nur für ein paar Momente, aus den Lautsprechern der Radios, der Kneipen, der Diskotheken. Es war eine körperlose, reibungslose Stimme; sie klang, als käme sie aus großen Weiten. Sie klang hoch und flach wie auf Helium, schwerelos taumelnd im Edelgas. Engel sind leicht, sie sind ohne Gewicht. Und so lernte auch ich, das Leichte zu lieben, das mich der Sonne entgegentrug wie einen Fesselballon.

Ich hatte keinen Zweifel, dass der Engel nur für mich gekommen war. Denn wie durch ein Wunder erschien er immer genau dort, wo ich war. Andere, so kam es mir manchmal vor, konnten ihn nicht hören; meine Mutter etwa hackte ungerührt weiter Zwiebeln, wenn seine Stimme aus dem Küchenradio kam.

Der Engel war wunderschön. Er war blond und lockig und weiblich, damit auch ich ihn als Engel erkennen konnte.Nicht so, wie sie sind, erscheinen sie, sondern so, wie die Sehenden sie sehen können, lernte ich später. Denn alles, was ich bis dahin über Engel wusste, wusste ich von den Biedermeierbildern meiner Großtante Ada, von den Weihnachtskarten meines Großonkels Kurt. Der Engel trug Kreuze um den Hals, damit ich ihn nicht für einen Dämon hielt. Der Beruf der Engel, das wusste ich damals noch nicht, ist Kommunikation. Und deshalb sprechen sie immer genau die Sprache, die man versteht.

Der Engel, die Hand im Schritt, sprach zu mir: Dein Leib ist gebenedeit. Und so liebkoste ich meinen Leib und richtete ihn her für die Blicke der Menschen. Der Engel, von kräftigen Männern umtanzt, sprach: Lass die Liebe scheinen. Und ich, unter Tränen, malte mit Lippenstift Herzchen an den Spiegel. Der Engel, vor Skylines tanzend, sprach: In der Stadt ist das Leben. Und so ging ich, so bald ich konnte, zum Studieren in die Stadt. Der Engel, zwischen Situp und Sonnengruß, sprach: Harte Arbeit führt zum Ziel. Und so machte ich mich, so bald ich konnte, an meine Karriere.

Engel, sagt Origines, ernähren sich von nichts als göttlichen Strahlen. Auch mein Engel war dünn und wurde immer dünner; und so setzte auch ich mich auf Diät. Beweg dich, sagte der Engel, und er machte mir vor, wie man sich bewegt. Engel sindsemper mobiles, immer in Bewegung, sagt Johannes von Damas