Tark Draan (Geborgenes Land), Dsôn Bhará, 5434. Teil der Unendlichkeit (6310. Sonnenzyklus), Frühling
„Wenn ich nocheinen höre, der mir diesen Aiphatòn alsKaiser meines Volkes vorstellt, ich schwöre, ich werde denjenigen an den Fersen aufhängen und solange mit einem Knüppel auf seinen Wanst eindreschen, bis ihm die Innereien als blutiger Brei aus dem Mund laufen!“, schrie Sisaroth außer sich.
Er sprang von seinem Stuhl auf, verließ den gedeckten Tisch und eilte zum bodentiefen Fenster; das lange, schwarzrote Gewand mit den silbernen Stickereien flatterte und raschelte leise.
„Verzeih, ich dachte mir nichts dabei.“ Einen Augenblick fürchtete Tirîgon, sein Zwillingsbruder nähme Anlauf für einen gewaltigen Sprung, der ihn nach dem Sturz in die Tiefe in die Endlichkeit beförderte.Doch das passte nicht zu ihm. Also blieb Tirîgon ruhig an seinem Platz sitzen und warf seiner Schwester Firûsha einen beruhigenden Blick zu.„Es ist nun einmal sein Titel.“ Er trug die schwarze Tioniumrüstung, die ihnen Tungdil einst in Phondrasôn geschmiedet hatte; der Staub seiner langen Rundreise durch den Osten haftete noch an ihm. Sisaroths Drohung nahm er nicht persönlich, er kannte das rasch entzündbare Gemüt.„Wenn du nicht möchtest, dass er mit seinen Vasallen heranrollt und dich daran erinnert, dass auch wir ihm… in gewisser Weise… unterstehen, dannüberwinde deinen Stolz.“
Firûsha atmete leise aus und ergriff die Karaffe mit dem Gewürzwein.Über ihrem leichten, hellgrauen Kleid lag ein nachtblauerÜberwurf, die schwarzen Haare wurden durch ein funkelndes Diadem aus Silber und Edelsteinen zurückgehalten.
„Ein Titel, denich ihmnicht verlieh!“ Sisaroth blieb am bogenförmigen Fenster stehen und starrte hinab in den abendlichen Kraterkessel. Sie residierten nicht wie die Unauslöschlichen in einem Beinturm, sondern in einem rechteckigen Palast aus grauem Marmor, gelegen auf der Kuppe eines Berges, der inmitten der Stadt aufgeschüttet war.
„Wir meisterten Phondrasôn mit all seinen Schrecken, wir führten die letztenüberlebenden Albae aus Dsôn Sòmran durch den Mondteich nach Tark Draan“, sprach er düster und legte einen Arm gegen die Wand, um die Stirn abzustützen. Unverwandt sah er hinaus.„Und kaum dass wir hier sind, dass wir unser Dson Bhará errichten und unsere Macht als Dson Aklán ausbauen, kommt dieser…“ Er biss vor Hass die Zähne zusammen.
„Er ist der Nachfahre der Unauslöschlichen“, mahnte Tirîgon.„Der Sohn von Nagsor und Nagsar Inàste. Reineres Herrscherblut als ihn gibt es nicht in…“
„Ichweiß das!“, schrie Sisaroth wieder.„Ichweiß um seine verfluchte Magie! Und ichweiß um seine unzähligen wilden Albaebastarde! Aber es macht es nicht einfacher, jeöfter ich esertragen muss, es zu hören!“ Seine Augen färbten sich tiefschwarz, und Wutlinien zeichneten sein Antlitz. Die Hand ballte sich zur Faust.„Ich fühle mich so… hilflos“, flüsterte er.„Nutzlos.“
Firûsha beugte sich zu Tirîgon.„Reize ihn nicht weiter“, bat sie raunend.
„Sind denn seine Experimente nach wie vor nicht von Erfolg gekrönt?“, gab dieser nicht weniger leise zurück und schnitt sich vom Käse ab.
Sie nickte und stand auf, um sich zu Sisaroth zu begeben. Firûsha legte eine Hand auf seinen Rücken und stellte sich neben ihn, dicht an die Scheibe des geschlossenen riesigen Fensters.
Die Geschwister sahen in die Nordseite des Kraters, dessen Durchmesser sich auf insgesamt zwölf Meilen erstreckte und drei Meilen tief im Boden lag.
Einst hatte hier ein sanfter Weiher gelegen, in der Nähe zu einer Elbensiedlung. Dass der Mondteich nach ihrem Eintreffen eingebrochen und sein Wasser verloren hatte, war als Fügung der Göttin Inàste gesehen worden.
„Du wirst es schaffen“, sagte sie sanft.„Wir erreichten bereits so viel.“
Sisaroth presste die Lippen fest zusammen, um seine Antwort zurückzuhalten, die gewiss spöttisch ausgefallen wäre und die Falsche verletzend getroffen hätte.
Firûsha kannte seinen brennenden Ehrgeiz und gab ihm durch ihr Schweigen die Gelegenheit, sich zu besinnen. Sie ließ ihren Blick schweifen.
Mit Hilfe von Sklaven war das Loch vergrößert worden, um dem künftigen Dsôn Bhará mehr Raum zu geben für die Tausenden von Albae, welche die Drillinge in den nahenden Teilen der Unendlichkeit in Tark Draan ankommen sahen.
Aber dann entschied Samusin anders.
Wie so oft.
Die Geschwister hatten sich als Bringer eines neuen Albaereichs gesehen, um die Tore im Norden für die Unholde erneut aufzustoßen und mit deren Hilfe Tark Draan zu erobern– bis zu dem Moment der Unendlichkeit, als Aiphatòn aus dem Süden zurückkehrte, mit der grässlichen Brut, die nuräußerlich ihrem Volk glich. Und niemand durfte es aufgrund seiner eigenen Abstammung wagen, gegen den Sohn der Unauslöschlichen aufzubegehren.
Nicht offen.
Und dann mussten sie begreifen, dass es kaum mehr Elben gab, die man jagen konnte. Die wenigen lebten gut verborgen und blieben trotz der Karte, die die Albae in die Finger bekommen hatten, schwer aufzustöbern. Sogar die Unauslöschlichen gehörten der Endlichkeit an, wie es ihnen Tungdil Goldhand in Phondrasôn berichtete.
Die Welt wandelte sich sehr. Firûsha sah von hier gut fünfzig der zweihundert Häuser, in denen ihre albischen Gefolgsleute lebten.
Die Gebäude erhoben sich um den Berg, auf dem der Palast der Dsôn Aklán errichtet stand, streng nach einem Muster angeordnet, das sy